VON CLEMENS POKORNY
|
12.09.2014 17:48
Wollen wir ewig leben?
Männer sterben früher als Frauen, weil sie ungesünder leben. Die sogenannte Klosterstudie geht dem zweiten Teil dieses Stereotyps seit Mitte der 1990er-Jahre nach. Alle bisherigen Ergebnisse zeigen: Der Volksmund hat im Wesentlichen recht. Doch nicht nur ein ungesunder Lebenswandel lässt sich ändern – geht es nach einem englischen Altersforscher, könnten wir sogar hunderte Jahre alt werden.
Für immer jung und gesund? Der Altersforscher Aubrey de Grey hält diesen Menschheitstraum für erfüllbar und eine Lebenserwartung von 1000 Jahren für realistisch. Freilich liegen da noch viele und vor allem teure Forschungsjahre vor uns. De Greys Ansatz aber überzeugt: Er betrachtet Altern als eine Krankheit. Auch wenn sicherlich nicht alle Menschen ewig leben wollen, so dürfte doch wohl niemand sein Leben gerne in einem kranken, verfallenen Körper beschließen. Die Alterungsprozesse ließen sich dazu, so de Grey, enorm verzögern, bevor wir irgendwann doch sterben müssen.
Kann man Glück messen?
In Deutschland wurde hierzu viele Jahrzehnte ausschließlich das Bruttoinlandsprodukt betrachtet
[...]»
Dann könnte wirklich eine Mehrheit der Menschen ein Methusalem-Alter erreichen. Denn das Altern ist nach wie vor die Todesursache Nr. 1 in hochentwickelten Staaten wie Deutschland.
Differenziert man nach Todesarten, ergibt sich folgendes Bild: Über 40% der Todesfälle in Deutschland im Jahr 2011 gingen auf Krankheiten des Kreislaufsystems wie Herzinsuffizienz, Herzinfarkte oder Hirnblutungen zurück. In fast 27% der Fälle war eine Neubildung, also meist eine Krebserkrankung, die Todesursache. Darunter nehmen Karzinome des Verdauungssystems und der Lunge traurige Spitzenplätze ein. Demgegenüber starben 2011 nicht einmal 4% aller Fälle einen nicht-natürlichen Tod wie z.B. durch Unfall.
Geht es nach Aubrey de Grey, ließe sich die Lebensdauer aller Organe und so auch des Herzens deutlich verlängern, das im Übrigen unter Stress stark leidet. Lungenkrebs korreliert massiv mit Tabakkonsum, der unter Frauen immer mehr zunimmt, und Magen- oder Darmkrebs lässt sich häufig auf ungesunde Ernährung mit zu viel rotem Fleisch (Rind, Schwein) zurückführen. Auch Fettleibigkeit, Diabetes, Bluthochdruck und Bewegungsmangel gehören zu den größten
Risikofaktoren im Hinblick auf die individuelle Lebenserwartung. Diese unterscheidet sich aber signifikant nach Geschlecht.
Liegt das wirklich am Lebenswandel oder hat es biologische Ursachen? Der Demographie-Student Marc Luy kam Mitte der 1990er-Jahre auf eine naheliegende Überlegung, um diese Frage zu beantworten: Wenn Männer wirklich deshalb
vier bis acht Jahre früher sterben als Frauen, weil sie ungesünder leben, dürfte dieser Effekt in einer Bevölkerungsgruppe, in der Männer und Frauen negativen äußeren Einflüssen gleichermaßen kaum oder gar nicht ausgesetzt sind, nicht zu beobachten sein. Diese Gruppe fand Luy im Kloster. In der Abgeschiedenheit, die für „Klöster“ schon namensgebend ist (lat. claustrum = Abgesperrtes), und mit der sprichwörtlichen mönchischen Askese sollten Nonnen und Mönche gleichermaßen deutlich länger leben als durchschnittliche Angehörige der Gesamtbevölkerung. Schon die ersten Zwischenergebnisse der noch immer laufenden
Klosterstudie bestätigten diese Vermutungen: Tatsächlich leben Mönche bis zu viereinhalb Jahre länger als Durchschnittsmänner und damit nur ein bis zwei Jahre kürzer als Nonnen. Diese hinwiederum haben überraschenderweise keine höhere Lebenserwartung als gewöhnliche Frauen – warum, können Luy, der mittlerweile
an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften arbeitet, und seine Mitarbeiter noch heute nicht mit Sicherheit sagen. Ein Grund dafür dürfte aber auch hier in der gesünderen Lebensweise von Frauen insgesamt liegen, die viel seltener Suizid begehen, noch immer weniger rauchen und seltener Fleisch essen als Männer.
An genetischen Ursachen für die Disparität der Lebenserwartungen von Frauen und Männern bleibt womöglich nur das Testosteron übrig, das bei Männern im Alter das Immunsystem schwächt.
Stehen wir also vor der Wahl, ein kurzes, aber genussvolles oder ein langes, aber asketisches Leben zu führen? Was Genuss bringt, hängt natürlich von der Perspektive ab, mit der man auf seine Möglichkeiten der Lebensgestaltung blickt. Wer aber seinem Körper mit Extremsport oder Alkohol- bzw. Nikotingenuss mutwillig zu viel zumutet, treibt die Krankenkassenbeiträge in die Höhe, die auch andere bezahlen müssen. Egal, in welchem Alter wir einmal sterben, gesund wollen wir doch Alle alt werden – und dafür müssen wir wohl einfach berücksichtigen, dass wir mit einem Steinzeitkörper durch die völlig unnatürliche Welt des 21. Jahrhunderts laufen. Für alles, was uns über unsere Umweltbedingungen hinaus altern lässt, bleibt nur, auf Forschungsfortschritte zu hoffen, wie Aubrey de Grey sie prophezeit.