VON CLEMENS POKORNY | 31.01.2013 15:36

Warum müssen wir sterben?

Jeder Mensch muss irgendwann sterben, eines „natürlichen“ oder „unnatürlichen“ Todes. Doch warum das so ist und wann jemand tot ist – man denke an Zweifelsfälle wie das für Organspenden so wichtige Konstrukt des Hirntods –, bleibt umstritten.

Was ist der Sinn des Lebens? Und wenn es einen hat: Warum müssen wir dann sterben? Und wann sind wir eigentlich tot? Diese Themen interessieren nicht nur Philosophen. Spätestens dann, wenn man sich mit dem Thema Organspende auseinandersetzt, stellt sich auch die Frage, ob die Medizin darüber entscheiden kann, wann wir tot (und damit potentielle Spender) sind.

Evolutionsbiologisch betrachtet stellt jeder von uns nur einen winzigen Schritt in der Entwicklung der Spezies Homo sapiens sapiens dar, und unsere Funktion in diesem Zusammenhang ist erfüllt, sobald wir uns erfolgreich vermehrt haben. Danach sind wir sozusagen überflüssige „Wucherungen am Lebensbaum“ und müssen in einer Welt mit begrenzten Ressourcen über kurz oder lang den kommenden Generationen Platz machen. Unser Tod ist dabei vorprogrammiert: Schon im Falle defekter, überflüssiger oder schädlicher Zellen kommt es zum programmierten Zelltod. Auf diese Weise kann der Körper von Belastungen befreit werden. Ein augenfälliges Beispiel für die gezielte Zerstörung von Zellen stellt die Rückbildung von Körperteilen bei Lebewesen dar, die eine Metamorphose durchlaufen (etwa das Verschwinden des Schwanzes bei der Entwicklung der Kaulquappe zum Frosch). Die gezielte Vernichtung von Zellen funktioniert allerdings nicht immer – das beste Beispiel dafür sind Krebserkrankungen –, und umgekehrt kann sich der Körper auch nicht ewig erneuern. Unsere Zellen können sich nicht beliebig oft teilen, denn bei jeder Teilung verkürzen sich die Enden der Chromosomen, die Telomere, bis sich der Prozess nicht mehr wiederholen lässt. Außerdem altern auch Stammzellen, die durch ihre Teilung für Nachschub an frischen Zellen sorgen können. Wenn sich in einem oder (meist) mehreren Organen zugleich zu viele veraltete, nicht mehr funktionstüchtige Zellen angesammelt haben, sterben wir an altersbedingtem Organversagen – an „Altersschwäche“. Wie viel Zeit einem Menschen bis dahin bleibt, ist zu mindestens 30% von genetischen Faktoren abhängig. So erreichen signifikant häufig gleich mehrere Mitglieder einer Familie das 100. Lebensjahr, während das in anderen Familien niemandem gelingt. Und die Französin Jeanne Calment, die 1997 im Alter von 122 Jahren starb, rauchte fast 100 Jahre lang Zigaretten, ohne dass dies ihrer Gesundheit nachhaltig geschadet hätte.

Krebstherapie Kamelurin

Dass eine gesunde Lebensweise der Lebenserwartung zuträglich ist, wird freilich von niemandem ernsthaft bestritten. Ebenso ist ein Mensch unstrittig dann tot, wenn sein Körper aufgrund der Funktionsuntüchtigkeit eines oder mehrerer lebenswichtiger Organe nicht mehr in der Lage ist, seine Lebensfunktionen aufrecht zu erhalten. Doch dabei gibt es Grenzfälle. Der sogenannte Hirntod tritt auch bei Menschen auf, deren Herz weiterhin Blut durch ihren Körper pumpt, ja die sogar noch gebären können. Zudem lässt sich dieses irreversible Ende aller Hirnfunktionen nicht immer mit letzter Sicherheit feststellen. Man stelle sich vor: Einem Patient, der eingewilligt hat, im Falle eines Hirntods als Organspender zur Verfügung zu stehen, werden Organe entnommen – und während fälschlicherweise sein Hirntod diagnostiziert wurde, leidet der Betroffene bei der Entnahme entsetzliche Qualen, ohne diese anzeigen zu können. Solange diese Gefahr besteht, bleibt das Problem, wann wir im Zweifelsfalle tot sind, letztlich ungeklärt – so ähnlich wie die evolutionsbiologische Antwort auf die Frage, warum Menschen sterben müssen, uns als Individuen nicht befriedigen kann.