VON LISI WASMER
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31.01.2013 15:47
Auge um Auge, Zahn um Zahn
Man kann es Streben nach Gerechtigkeit nennen, oder Abschreckungsmaßnahme. Aber auch Rachlust, einen Verstoß gegen universale Menschenrechte oder den Wunsch, Gott zu spielen. Hinrichtungen werden bis heute in etwa 60 Staaten als Rechtsmittel angewandt. Aber wenn Gerichte über Leben und Tod entscheiden, scheiden sich die Geister: Ist die Todesstrafe moralisch vertretbar?
China spricht nicht darüber, Indien momentan dafür umso mehr: Während die chinesische Regierung die Statistiken zur Todesstrafe im Land unter Verschluss hält, wurde in den vergangenen Wochen immer wieder die Hinrichtung der verhafteten Täter im Fall der Gruppenvergewaltigung einer 23-Jährigen Inderin im Dezember gefordert. Ein heikles Thema, das zur Diskussion einlädt: Ist eine Hinrichtung in manchen Fällen gerechtfertigt? Wer darf über Leben und Tod anderer Menschen entscheiden? Und was ist dran an der abschreckenden Wirkung der Todesstrafe?
Die Zahlen
Justizirrtum - Ein Leben zu Unrecht zerstört
Eine Horrorvorstellung: zu Unrecht inhaftiert, viele Monate oder Jahre. Ein Justizirrtum, der nicht selten geschieht. Die Entschädigung? Ein paar Euro und die Freilassung.
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Fakt ist, dass die Todesstrafe in knapp 60 Ländern existiert und ausgeführt wird, so etwa in China, Japan, den USA und vielen arabischen Ländern.
Amnesty International schätzt die Anzahl der in sogenannten Todeszellen Inhaftierten für das Jahr 2011 auf mindestens 18.750 Personen, die Anzahl der Exekutionen auf 680. In Wahrheit dürften beide Zahlen noch höher liegen, China geht in diese Schätzung nicht ein. Es wird jedoch vermutet, dass dort mehrere tausend Menschen den Tod durch Staatsgewalt gefunden haben.
In der Bundesrepublik Deutschland wurde die Todesstrafe 1949 abgeschafft (in der DDR 1987). „Die Todesstrafe ist abgeschafft“ lautet seither der Artikel 102 des Grundgesetzes. Beachtenswert ist, dass wir diese Ergänzung dem rechtsextremen Politiker
Hans-Christoph Seebohm zu verdanken haben. Er wollte die Exekution nationalsozialistischer Kriegsverbrecher durch die Alliierten aufhalten, um so Wähler für seine Deutschland-Partei zu gewinnen und formulierte erstmals die Forderung nach einer Abschaffung der Todesstrafe. Nach anfänglichem Zögern unterstützten auch SPD und Christdemokraten diesen Vorstoß, er wurde bei der Verfassungsänderung mit berücksichtigt.
Die Crux
Man merkt schon: Die Todesstrafe ist ein sehr zwiespältiges Thema. Dass wir ihre Abschaffung gerade einem Mann verdanken, der sich für Kriegsverbrecher einsetzt, die teilweise selbst massenhaft Menschenleben ausgelöscht haben, zeigt das nur zu deutlich.
Genauso wie auch die anhaltende Diskussion über vermeintlich gute Gründe für die Hinrichtung verurteilter Verbrecher. Immer wieder ist von der abschreckenden Wirkung der Todesstrafe die Rede. Laut Amnesty International können Studien diesen Effekt bisher jedoch
nicht überzeugend belegen. Andererseits würden Statistiken zeigen, dass die Abschaffung der Todesstrafe bisher in keinem Staat zu einem drastischen Anstieg der Kriminalitätsrate geführt hat.
Das „Aber“
Das wohl stärkste Argument gegen die Todesstrafe sind hingegen Menschen wie Damon T. Erst im September vergangenen Jahres wurde der inzwischen 38-jährige Amerikaner aus dem Gefängnis entlassen, nachdem er 15 Jahre lang unschuldig inhaftiert war. Er sollte für die Vergewaltigung einer 14-Jährigen hingerichtet werden, die er nach einem neunstündigen Verhör gestanden hatte. Wie die Zeitung „
Die Welt“ berichtet, seien Experten nun zu dem Schluss gekommen, dass das Geständnis damals nicht auf Tatsachen beruhte.
Kennt man den Report von
James Liebman aus dem Jahr 2000, kann man sich nur wundern, dass die Todesstrafe bis heute überhaupt noch verhängt und exekutiert wird. Der Jura-Professor aus New York zeigte mit seiner Untersuchung von Berufungsverfahren zum Tode verurteilter Inhaftierter, dass mehr als zwei Drittel der Urteile aufgrund erheblicher Mängel der Prozesse wieder aufgehoben wurden. Hier wird vor allem eines deutlich: Irren ist menschlich. Und auch Gerichte sind vor Fehlbarkeit nicht gefeit.