VON MAXIMILIAN REICHLIN
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22.05.2015 14:47
Ist die globale Abrüstung gescheitert? – Die NVV-Überprüfungskonferenz in New York
Vom 27. April bis zum 22. Mai fand in diesem Jahr in New York wieder eine Überprüfungskonferenz zum Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen (NVV) statt. Der 1970 geschlossene Vertrag, der mittlerweile von fast 200 unterzeichnet wurde, soll alle teilnehmenden Nationen in die Pflicht nehmen, Atomwaffen schrittweise abzuschaffen. Kritische Stimmen halten diese Ziele nun allerdings für weitreichend gescheitert, vor allem aufgrund der aktuellen Bemühungen der zwei größten Atomstaaten USA und Russland, ihre bestehenden Waffensysteme zu modernisieren. Sind wir von einer atomwaffenfreien Welt weiter entfernt, als je zuvor?
Blutleerer könnte ein Ratsbeschluss kaum sein. Nachdem die 191 Staaten, die bisher den Nuklearen Nichtverbreitungsvertrag (NVV), auch bekannt als Atomwaffensperrvertrag, unterzeichnet haben, bereits seit dem 27. April über neue Wege und Möglichkeiten der atomaren Abrüstung debattierten, fehlt es bislang an Kompromissen oder klaren Entscheidungen. Experten betrachten die Überprüfungskonferenz bereits als gescheitert. Somit wirft das vierwöchige Treffen in New York als eines der wichtigsten Instrumente zur globalen Abrüstung ein ernüchterndes Bild auf die nukleare Ordnung.
USA und Russland – Modernisierung statt Abrüstung
Grund für die fruchtlose NVV-Konferenz ist vor allem das politische Kräftemessen der beiden größten Atomwaffenstaaten USA und Russland in den vergangenen Jahren. Weiteren Abrüstungsschritten setzen beide Supermächte, die zusammen etwa 90 Prozent der auf der Welt noch existierenden einsatzfähigen Atomwaffen besitzen, ein stabiles internationales Klima voraus. Dieses fehle jedoch. Vor dem Hintergrund der Krim-Krise seit 2013 wollen weder Moskau noch Washington auf die bestehenden Atomwaffen als Abschreckungsmaßnahme und somit als Gewährleister des Friedens verzichten. Beide Staaten werfen sich gegenseitig außerdem eine Verletzung des 1987 getroffenen INF-Abkommens vor.
Abgerüstet wird in den NVV-Nationen kaum noch, im Gegenteil. Die USA verfügt noch über knapp 7.000 Atomsprengköpfe, Russland über 8.000. Entgegen des 2010 getroffenen New Start-Folgeabkommens der beiden Staaten, verringern sich die Bestände immer langsamer, wie das Friedensforschungsinstitut SIPRI ermittelte. So gehe die Abrüstung in beiden Ländern im Jahr 2013 schon schleppender voran als im Vorjahr und deutlich langsamer als noch zehn Jahre zuvor. Stattdessen wird wieder in Atomwaffen investiert. Nicht nur Amerika und Russland, auch die übrigen Atomwaffenstaaten, darunter die NVV-Nationen Großbritannien, Frankreich und China sowie die Nichtunterzeichner Indien, Israel, Pakistan und Nordkorea, geben zusammen jährlich etwa 100 Milliarden US-Dollar für die Modernisierung und Aufrechterhaltung ihrer Atomwaffen aus. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie der Initiative Global Zero.
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Gespaltene Lager in New York
Von einer atomwaffenfreien Welt sind die NVV-Nationen damit noch weit entfernt. Zwar gibt es, auch abseits der Konferenz in New York, weiter Gespräche und Bemühungen – so trafen sich etwa im Dezember 2014 über 100 Staaten in Wien, um über die humanitären Folgen der Atomwaffenbestände zu diskutieren – doch auch diese Konferenzen laufen meistens ins Leere. Ein von Österreich vorgeschlagenes striktes Verbot von Atomwaffen
konnte in Wien nicht durchgesetzt werden, einige Atomwaffenstaaten wie Russland, China und Nordkorea verzichteten ganz auf die Teilnahme an der Diskussion. Ein ähnlicher Diskussionspunkt spaltete auch in New York wieder die Lager – während Staaten wie Österreich, die
Schweiz, Irland oder
Neuseeland ein internationales Verbot befürworten, lehnen die Atomstaaten und etwa auch Deutschland einen solch radikalen Schritt ab. Abermals mit Hinweis auf die Notwendigkeit von Atomwaffen zur Abschreckung.
Auch
die Rolle Israels in der internationalen Abrüstungsdebatte führt regelmäßig zu Verstimmungen auf der NVV-Überprüfungskonferenz. Schon während der Vorbereitungskonferenz vor zwei Jahren brüskierten sich die arabischen Staaten über die Unfähigkeit der Überprüfungskonferenz, die angespannte politische Lage im Mittleren Osten unter Kontrolle zu halten – etwa weil Israel immer noch nicht an den Verhandlungstisch gebracht werden könne, und weil bisher
alle Bemühungen gescheitert sind, eine massenvernichtungswaffenfreie Zone (MVWZ) im Mittleren Osten einzurichten,
wie es eigentlich seit 2010 auf der Agenda stand. Zu einem Eklat kam es, als es die Ägyptische Delegation schließlich die Vorbereitungskonferenz verließ und sich erst wieder 2014 zu Gesprächen bereit erklärte. Diesbezüglich könnte sich in diesem Jahr allerdings ein Hoffnungsschimmer zeigen: Als 191. Staat nimmt in New York erstmals auch Palästina als NVV-Nation teil, Israel ist zumindest Beobachter der Konferenz.
Der Atomwaffensperrvertrag fehlgeschlagen?
Nichtsdestotrotz scheinen viele Fachleute und auch die Staaten selbst mittlerweile das Vertrauen an der Wirksamkeit des Atomwaffensperrvertrages zu verlieren. Im Fünfjahresturnus treffen sich die Unterzeichnerstaaten des NVV regelmäßig seit Inkrafttreten des Vertrages im Jahr 1970. Damit ist das Treffen in New York bereits die neunte Überprüfungskonferenz. Viel getan hat sich seitdem nicht, meinen kritische Stimmen. Grundsätzlich sind die Ziele des NVV klar: Die fünf teilnehmenden Atomwaffenstaaten USA, Russland, China, Frankreich und Großbritannien (die sogenannten P5) verpflichten sich, das eigene Waffenkontingent schrittweise zu verringern, alle anderen Staaten dürfen keine eigenen Atomwaffenprogramme starten. Von der Erfüllung dieser Ziele
sei man allerdings weit entfernt.
Die aktuelle NVV-Konferenz steht dabei, vor allem wegen der Unfähigkeit der Atomwaffenstaaten, sich auf ein wirksames Abrüstungsprogramm zu einigen, besonders in der Kritik. Weitere Abrüstungsabkommen, wie etwa das 2010 vereinbarte New START-Abkommen zwischen Amerika und Russland,
hat keine der Atommächte angekündigt, lediglich die Transparenz über die bestehenden Atomwaffenarsenale soll erhöht werden. Diese Entscheidungen wurden allerdings von den Atomwaffenstaaten nicht multilateral sondern individuell ausgearbeitet, so dass in New York höchstens ein lose zusammenhängendes „Glossar“ der P5 vorliegen wird. Nun greift die Furcht um sich, dass der NVV als bislang bedeutendstes Instrument der globalen Abrüstung seinen einst ambitionierten Zielen einer atomwaffenfreien Welt nicht mehr gerecht werden kann.