VOM JOACHIM SCHEUERER
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12.08.2013 15:09
Die Kinderkrippe ein Kindheitstrauma?
Verwaisung durch Tod der Eltern oder Verstoßung, Gewalterfahrungen, Mißbrauch oder Kriegserlebnisse – die Ursachen für Kindheitstraumata sind zahlreich und mitunter ein Leben lang quälend, wenn nicht sogar über mehrere Generationen hinweg, wie es die Epigenetik in den letzten Jahren vermehrt erforscht. Doch es sind nicht immer nur solche Extreme die zu Beinträchtigungen des Urvertrauens sowie einem gestörten Bindungs- und Sozialverhalten führen. Emotionale Vernachlässigung und ein Mangel an bedürfnisgerechter Zuwendung beginnen früher und können besonders in den ersten Baby- und Kinderjahren tiefe Spuren hinterlassen. Bereits ein zu früher Krippenbesuch kann sich sehr belastend auf das Geborgenheitsgefühl von Kleinkindern auswirken, umso mehr als Krippen, Kindergärten und Co. nicht immer das Qualtitätsniveau aufweisen, welches nötig wäre, um den individuellen Neigungen der Kinder angemessen begegnen zu können.
Epigenetik – wie das Leben so spielt...
Sogar Traumata können weitervererbt werden
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Unsere moderne, auf reibungslose Abläufe getrimmte Gesellschaft zeichnet gerne ein Familienbild von glücklichen Eltern, die sich als Doppelverdiener, ohne Abstriche selbst verwirklichen können und nebenbei sogar noch Kinder großziehen. Allzu oft geht jenes Ideal jedoch zu Lasten der Kinder, welche in dieser Gleichung bisweilen vernachlässigt werden. Der noch immer tief in unserem gesellschaftlichen Bewusstsein verankerte Leistungsgedanke, welcher die Funktionalität des Einzelnen vielerorts über dessen sensible, empathische und individuelle Berücksichtigung stellt, begünstigt eine häufig zu frühe Inanspruchnahme von Krippen und anderen Betreuungsangeboten. Sicherlich, nicht alle Kinder sind gleich und der angemessene Zeitpunkt für einen Krippen- oder Kindergartenbesuch variiert von Kind zu Kind. Und auch die durch das
Betreuungsgeld geförderte häusliche Versorgung der Kinder bedeutet nicht automatisch eine höhere Qualität der Eltern-Kind-Beziehung. Finanzielle Beweggründe können natürlich auch hier pädagogische Ziele überwiegen.
Dennoch scheint sich die Wissenschaft weitestgehend einig über die Wichtigkeit der elterlichen Verfügbarkeit im ersten Jahr zu sein. Von der Ausgewogenheit ihrer Zuwendung hängt außerdem auch wesentlich der Erfolg der familienergänzenden Betreuung ab.
Kitas, Krippen, Tagesmüttern, aber auch Schulen kommt dabei deshalb eine so wichtige und gewichtige Rolle zu, weil sie in gewisser Hinsicht auffangen und ergänzen müssen, was viele Familien alleine nicht schaffen (können oder auch wollen). Jene Einrichtungen tragen auf moderne Weise dem häufig bemühten afrikanischen Sprichwort vom "Dorf, dessen es bedarf, um ein Kind großzuziehen", Rechnung und umso essentieller ist die Qualität der pädagogischen Ausbildung sowie des Betreuungsangebots, aber auch die Wertschätzung für die Erzieherinnen und Erzieher seitens der Bevölkerung.
Besonders hier gibt es jedoch gravierende Mängel wie beispielweise der dänische Familientherapeut
Jesper Juul zu bedenken gibt. Er kritisiert die Verschiebung des Betreuungsfokus von Qualität zu Quantität sowie die häufig rein pragmatische Ausrichtung der Krippen und Kitas auf Beschäftigung und Aufbewahrung der Kinder. Zudem seien Erzieherinnen und Erzieher zu schlecht geschult in Sachen Psychologie, sowie soziale und emotionale Kompetenz, wie auch die Erziehungswissenschaftlerin
Astrid von Friesen urteilt.
Ein Ende dieses Notstands scheint beim aktuell anhaltenden
Erzieher-, Krippen- und Kitaplatzmangel vorerst schwer vorstellbar zu sein, wodurch Krippen und Co. bisweilen, wie bereits
zu Beginn ihres Aufkommens Anfang des 19. Jahrhunderts, eher wie eine Notlösung denn einer pädagogischen Förderungsmöglichkeit wirken. In den 1840er Jahren sollten Einrichtungen wie Kindergärten vor allem berufs- und erwerbstätige Arbeiterfrauen entlasten.
Dabei können qualitativ gut geführte Krippen äußerst positive pädagogische Auswirkungen auf die Kinder haben, wie z. B. der Schweizer Kinderarzt
Remo H. Largo hervorhebt. Sowohl die soziale Kompetenz als auch die Sprachentwicklung profitieren bis hinein in Kindergarten und Schule von frühkindlichen Begegnungen mit Gleichaltrigen oder Älteren, sowie Erfahrungen mit Erzieherinnen und Erziehern. Vorausgesetzt die Betreuung ist qualitativ hochwertig, was bedeutet, dass die Bezugspersonen motiviert, pädagogisch hochqualifiziert und in angemessener Anzahl vorhanden sein müssen und nur selten wechseln dürfen.
Eine sinnvolle Kombination aus häuslicher und institutioneller Betreuung ist also durchaus sehr erstrebenswert. Vielleicht müsste man ja einfach nur etwas das Tempo herausnehmen.
Die Idee der Entschleunigung, welche z.B. schon seit einigen Jahren im Bildungs- und im Nahrungssektor kursiert, erscheint auch im Hinblick auf die zukünftige Pädagogik immer angebrachter. Denn man sollte nicht um seine Karriere fürchten müssen, nur weil man seine Verantwortung gegenüber den Kindern an und ernst nimmt.