VON MAXIMILIAN REICHLIN | 25.11.2014 12:54

Braucht unser Finanzsystem eine Reform? Giralgeld versus Vollgeld

Nur ein kleiner Teil des Geldes, das wir im Alltag verwendet, besteht aus Banknoten und Münzen. Sehr viel mehr existiert elektronisch oder nur auf dem Papier, in Form von Überweisungen, Schecks und Krediten. Dieses Giralgeld wird von den Banken in Umlauf gebracht und kann, so die Meinung einiger Ökonomen, im Ernstfall zu großen Problemen führen. Schon werden beinahe alle großen Finanzkrisen der vergangenen Jahre der Giralgeldschöpfung der Banken zugeschrieben. Könnte eine Vollgeldreform solche Krisen künftig verhindern?


Etwa 90% des existierenden Geldes, mit dem wir jeden Tag handeln, mit dem wir einkaufen, mit dem wir Häuser bauen und für das wir arbeiten, existiert nur virtuell, also nicht als sogenanntes Vollgeld in Form von Scheinen und Münzen. Es handelt sich hier um das sogenannte Giralgeld, das von Banken geschaffen und in Umlauf gebracht wird, aber nur auf dem Papier oder dem Bildschirm existiert. Das Giralgeld wird von Banken zum Beispiel als Kredit an einen Bankkunden vergeben – ohne dass die verliehene Geldmenge tatsächlich im Tresor der Bank enthalten sein muss, zumindest nicht vollständig. Nur 1 bis 3% der Kreditsumme muss tatsächlich in Form von Vollgeld vorrätig sein.

Armut in Deutschland

Dieses System funktioniert, weil den Banken von staatlicher Seite eine entsprechende Berechtigung für die Giralgeldschöpfung eingeräumt wurde. Die jeweilige Zentralbank eines Staates, die für die Schöpfung des Vollgeldes in Form von Noten und Münzen verantwortlich ist, fungiert für die übrigen Banken als „Lender of Last Resort“. Das bedeutet: Sollte der Fall eintreten, dass zu viele Bankkunden gleichzeitig ihr Konto auflösen wollen, zum Beispiel wegen widriger Wirtschaftsumstände, ohne, dass die geforderte Summe tatsächlich als Vollgeld vorrätig wäre, erhält die entsprechende Bank eine Subvention von der Zentralbank, um einen Konkurs zu vermeiden.

Somit sind Banken grundsätzlich risikofrei in der Lage, Giralgeld aus dem Nichts zu schöpfen und dieses virtuelle Geld zu verleihen – indem Zahlen von Konto zu Konto verschoben werden. Verschiedene Experten, unter anderem der Volkswirtschaftler Niko Peach, machen dieses System für die diversen Finanzkrisen der vergangenen Jahrzehnte verantwortlich. Demnach sei „ein anderes Geldsystem vonnöten.“ Der Schweizer Ökonom Philipe Mastronardi von der Universität St. Gallen schließt sich dieser Meinung an. So sagte er im Gespräch mit der ZEIT: „Wir brauchen einen Paradigmenwechsel.“ Geld solle künftig ausschließlich von der zuständigen Zentralbank ausgegeben werden dürfen.

Eine sogenannte „Vollgeldreform“, wie sie viele Ökonomen fordern, würde den Banken die Möglichkeit nehmen, Giralgeld zu schöpfen. Die „Initiative Vollgeld“ der Schweizer Organisation MoMo („Monetäre Modernisierung“) nennt einige Vorteile einer solchen Reform: So wären die Geldmittel auch während einer Bankenkrise relativ sicher, da die Banken niemals mit mehr Geld spekulieren könnten, als sie als Vollgeld vorrätig haben. Der größte sichtbare Vorteil läge allerdings in der Möglichkeit der Staaten, die in den letzten Jahren ausgeuferte Staatsverschuldung zeitnah und zinsfrei zu tilgen – mit eigenem Vollgeld, und damit unabhängig von geliehenen Giralgeld der Banken, wie es bisher der Fall war.

Auf der anderen Seite würde ein solcher Schritt allerdings Einkünfte schmälern – vor allem Investmentbanken könnten sich dann keine riskanten Spekulationen mit Giralgeld mehr erlauben und würden erheblich an Umsatz einbüßen. Außerdem, so Mastronardi, könne ein solches Vorhaben umständlich, in Form von Volksinitiativen durchgesetzt werden, die nur dann Erfolg hätten, wenn genügend Menschen den Handlungsbedarf auch wahrnehmen. Dafür seien die bisherigen Krisen nicht stark genug gewesen. „Vielleicht ist die nächste Krise so groß, dass auch jene Leute leiden, die handeln können. Aber dann müssen wir die Modelle für Reformen bereit haben.“