VON LISI WASMER | 15.04.2013 14:08

Kurz und schmerzlos? Für und Wider des „Turbo-Abiturs“

2001 machten deutsche Schüler bei der PISA-Studie keine gute Figur im internationalen Vergleich. Forderungen nach Reformen wurden laut, die Politik reagierte und führte das verkürzte Abitur nach 12 Jahren ein. Seither herrscht große Uneinigkeit über Sinn und Unsinn der Schulreform. Was hat sich verändert? Und wie geht es weiter?

Wenn sich frisch gebackene Abiturienten in die große weite Welt trauen, in eine andere Stadt ziehen, um ein Studium aufzunehmen - dann ist die Wohnungssuche ihre erste Hürde auf dem Weg zur Selbstständigkeit. Mit Erwachsenwerden hat das seit einigen Jahren oft nicht mehr viel zu tun. Schon gar nicht, wenn Mama und Papa mitkommen müssen, um den Mietvertrag fürs Wohnheim zu unterschreiben: Seit der Einführung des verkürzten Abiturs in fast allen Bundesländern sind Gymnasialabgänger häufig noch minderjährig. Das ist aber bei Weitem nicht das einzige Problem, welches das G8 in den vergangenen Jahren mit sich gebracht hat.

Die Widerworte werden nicht leiser

Leistung statt Leidenschaft

Übermäßigen Lernstress und eine Überforderung der Schüler beklagen etwa gut 20.000 Eltern in Hessen, die im Februar eine Petition beim Landtag eingebracht haben, um jungen Gymnasiasten den Umstieg von G8 zurück in G9 zu ermöglichen. Denn auch wenn hier an manchen Schulen wieder beide Schulsysteme parallel angeboten werden, ein Wechsel in die eine oder andere Schulform ist nicht vorgesehen. Dabei müsse man so viele Kinder wie möglich aus G8 retten, wie einer der Initiatoren der Petition es etwas dramatisch gegenüber der Frankfurter Rundschau ausdrückt.

Aber was macht das G8 so unbeliebt? Befürchteten zum Zeitpunkt der Einführung viele Lehrer noch einen Rückgang der Unterrichtsqualität aufgrund von Stoffkürzungen, wurden die obligatorischen 265 Lehrplanstunden bis zum Abitur entgegen dieser Erwartungen oftmals schlicht von neun auf acht Jahre übertragen. Längere Unterrichtszeiten sind die Folge, erhöhter Lernaufwand und ein Mangel an Zeit für Extracurriculares. Spiegel Online sieht dies vor allem als Problem für Kinder in der Mittelstufe, die auch ohne vermehrte Lernanforderungen schon genug beschäftigt seien, sich durch die Pubertät zu kämpfen. Ein wenig ernsthafter äußert sich der frühere Kultusminister Zehetmeier gegenüber dem Magazin. Er beruft sich auf die ursprüngliche Bedeutung des Abiturs als „Reifeprüfung“. Gerade diese Reife könne aber erst ab einem gewissen Alter erreicht werden.

Die gute Seite der Schulreform

Trotz der vielen Stimmen gegen das G8: Es gibt auch positive Entwicklungen. Kurze Ausbildungszeiten sind gerade für die Wirtschaft hoch interessant: Je mehr junge Menschen schnell für den Arbeitsmarkt verfügbar sind, umso besser. Gegen einen daraus resultierenden Rückgang der Qualität der Ausbildung spricht eine Studie, über welche die Süddeutsche Zeitung im vergangenen November berichtete. Die an der Untersuchung teilnehmenden G8-Abiturienten schnitten in Englisch und in den Naturwissenschaften besser ab als die Abiturienten im G9-System. Ungeklärt bleibt allerdings die Frage, ob dies auf die Verkürzung der Schulzeit oder die Reformierung der Unterrichtsform in der Oberstufe zurückzuführen ist.

Dem Schulsystem unter die Arme greifen

Bleibt die Frage: Wie geht es weiter? Ein vollständiges Zurückrudern der Politik ist wohl nicht zu erwarten, das G8 wird nicht ganz verschwinden. Dennoch geht der Trend zur Alternativenbildung - ob wie in Hessen mit zwei parallel laufenden Schulsystemen oder wie in Baden-Württemberg, wo zumindest ein Teil der Gymnasien wieder vollständig zum G9 zurückgekehrt ist. In Bayern gibt es die Möglichkeit, die Schulzeit im Bedarfsfall um ein „Intensivierungsjahr“ zu verlängern. Und auch Universitäten ergreifen teilweise die Initiative, bieten Vorsemester oder Ergänzungskurse an. Denn auch, wenn junge Leute dank G8 schneller für die Wirtschaft bereitstehen – ohne zusätzliche Maßnahmen scheint das Schulsystem auf verlorenem Posten zu stehen.