VON CLEMENS POKORNY | 05.08.2013 16:46

Bildungsföderalismus: Wo Abi machen wenig Arbeit kostet

In den 16 deutschen Bundesländern legen kontinuierlich mehr junge Menschen die Prüfung der Allgemeinen Hochschulreife, besser bekannt als Abitur, ab: Über eine halbe Million sind es bereits, mehr als doppelt so viele wie noch Anfang der 1990er-Jahre. Doch wer die Hochschulzugangsberechtigung erhält sowie die Chance auf einen Studienplatz in den zahlreichen NC-Fächern, hängt stark davon ab, in welchem Bundesland ein Abiturient zur Schule gegangen ist. Die Kultusminister der Länder bemühen sich seit Jahren, daran etwas zu ändern – doch bis zu einem bundesweit vergleichbaren Abitur ist es noch ein langer Weg.

Geht es nach dem Vorschlag von Stephan Dorgerloh, dann soll es in Deutschland ab 2017 in allen Bundesländern gleich schwierige Abituraufgaben in den Kernfächern geben. Der Mann ist Kultusminister von Sachsen-Anhalt und derzeit Vorsitzender der Kultusminister-Konferenz (KMK), die sich Ende Juni 2013 auf mehr Vereinheitlichung bei den Prüfungen geeinigt hat, an deren Ende im Erfolgsfall immerhin die Hochschulzugangsberechtigung steht. Zwar gibt es schon lange „Einheitliche Prüfungsanforderungen in der Abiturprüfung“, die qua KMK-Beschluss bundesweit verbindlich sind. Doch die konkrete Ausgestaltung dieser Anforderungen sieht überall anders aus, und mit der Föderalismusreform wurde erst 2006 bekanntlich die vielfach kritisierte Bildungshoheit der Länder noch zementiert.

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So kommt es dazu, dass Schüler für die gleiche Note etwa in Hamburg viel weniger können und leisten müssen als in Baden-Württemberg – und dementsprechend deutlich bessere Chancen auf Studienplätze in zugangsbeschränkten Studiengängen haben. Ein Beispiel für diese unterschiedlichen Standards: Bayerische Deutsch-Abiturienten müssen alle literarischen Epochen des deutschsprachigen Raumes ab dem Barock kennen; im Abitur können Texte jeder Gattung und von jedem möglichen Autor zur Bearbeitung gestellt werden. In Nordrhein-Westfalen wird von den Abi-Aspiranten dagegen lediglich die Kenntnis eines eher schmalen Kanons an Werken verlangt, der in den zwei Jahren Ober- bzw. Qualifikationsstufe im Unterricht behandelt wurde – und aus dem garantiert ein Textausschnitt in der Abiturprüfung drankommt.

Eine Statistik zeigt daher – wenig überraschend – für das Jahr 2005 ein Spektrum der Abi-Durchschnittsnoten in den Bundesländern von 2,30 (Thüringen) bis 2,71 (Niedersachsen). Und Mitarbeiter der Tageszeitung taz zeigten kürzlich, dass ein Abiturient mit den selben Noten in Hamburg eine Abitur-Durchschnittsnote von 1,9, in Thüringen dagegen von 2,3 hätte – und in Sachsen-Anhalt oder Bayern gar nicht erst zur Abiturprüfung zugelassen würde. Diese Unterschiede resultieren zum einen aus der unterschiedlichen Gewichtung, die den während der zwei Schuljahre erworbenen Noten einerseits und den Ergebnissen in der Abiturprüfung andererseits zukommt, sowie aus den Regelungen dazu, welche Noten in die Gesamtwertung eingebracht werden müssen und welche nicht. Zum anderen liegt sie darin begründet, dass mangelhafte Leistungen nicht in allen Bundesländern durch Exzellenzen in anderen Fächern ausgeglichen werden können.

Aber nicht erst nach dem Abitur haben deutsche Studienwillige in den verschiedenen Bundesländern sehr unterschiedliche Voraussetzungen. Die Auslese findet viel früher statt: Während in Bayern nur 22% eines Jahrganges das Abitur ablegen, sind es in Nordrhein-Westfalen über 50%. Wollen diese jungen Menschen dann ein Studium aufnehmen, kann ihr ehemaliger Lernort ihre beruflichen Träume zunichte machen. Denn der Zugang zu über der Hälfte der 9470 grundständigen Studiengänge, die an deutschen Hochschulen angeboten werden, wird bereits über die Abinote geregelt („numerus clausus“).

Zum Trost mag bayerischen Gymnasiasten gereichen, dass sie – wie ihre Kommilitonen aus Baden-Württemberg – im bundesweiten Vergleich am häufigsten ihr Studium erfolgreich abschließen. Und wenn schon bis 2016 ein gemeinsamer Abitur-Aufgabenpool der Bundesländer Bayern, Niedersachen und Sachsen für die Kernfächer zustande kommt, ist der erste Schritt hin zu einem möglichen Staatsvertrag für das vergleichbare Abitur getan. Dann könnte es für Kinder aus Familien, die von einem Bundesland in ein anderes ziehen, endlich leichter sein, ihre Schulkarriere ohne Brüche oder sonstige Probleme fortzusetzen. Solange aber die Oberstufe der Gymnasien und Gesamtschulen von Bundesland zu Bundesland verschieden gestaltet ist, solange wird auch ein bundesweit einheitlich geregeltes und damit vergleichbares Abitur eine Illusion bleiben