VON SIVAN BERSHAN | 10.01.2012 11:10

Pisa gerade rücken

Der internationale Bildungsvergleich hat für großes Aufsehen und Umbrüche im deutschen Bildungssystem gesorgt.

Pisa ist eine von der OECD entwickelte Untersuchung der Kompetenzbereiche Lesen, Mathematik und Naturwissenschaften bei Fünfzehnjährigen. Seit 2000 wird Pisa im 3-jährigen Rhythmus erhoben und dient zur Früherkennung von Bildungsdefiziten.

Zunächst sorgte die internationale Studie für Überraschungen. Während die als rigide geltenden Schulsysteme Südkoreas und Japans kontinuierlich zum Pisa-Spitzenfeld gehören, sind viele Europäische Länder - darunter Italien, Portugal und Griechenland - auf den letzten Plätzen zu finden. Deutschland, dessen Tradition ja bekanntlich das Dichten und Denken ist, mauserte sich seit Beginn der Erhebungen von miserabel zu mittelmäßig. In der Pisaerhebung 2000 wurde bei jedem vierten Fünfzehnjährigen in Deutschland unzureichende Lesefähigkeit gezeigt. Zudem zeichnete die soziale Herkunft in Deutschland so viel Einfluss auf den Bildungsgrad, wie nirgendwo sonst.

Die Folge war eine gravierende Umstrukturierung des deutschen Schulsystems. Durch Maßnahmen, wie beispielsweise die Einführung von Gesamtschulen oder des Ganztagsunterrichts konnte zwar insgesamt eine Leistungssteigerung bei Pisa erreicht werden, jedoch ist die Effektivität der Einzelmaßnahmen aufgrund der Reformmasse nur schwer nachzuweisen. Lehrer äußern sich vermehrt kritisch darüber, dass sie als Experten nicht zu Wort kommen. Sie fühlen sich immer eingeschränkter in ihrer Gestaltungsfreiheit; das hemmt die Motivation. Die Schlüsselfunktion des Lehrers als mitreißender Brückenbauer zu neuem Wissen wird somit erschwert.

Ein weiterer Kritikpunkt ist die Frage nach der Aussagekraft der Testergebnisse. Hans Brügelmann, Erziehungswissenschaftler an der Universität Siegen, nennt in diesem Zusammenhang die Beispiele Dänemark und Kanada; beide Länder weisen eine relativ starke Gruppe derer auf, die zwar schlechte Testergebnisse erzielen, andererseits aber dennoch mindestens einen Sekundar-Abschluss erreichen. Dies stellt in Frage, ob die Korrelation zwischen dem Abschneiden bei Pisa und den späteren schulischen und beruflichen Erfolgen wirklich gegeben ist. Zudem bleibt zu bedenken, dass nicht ausschließlich schulische Leistungen für den späteren Erfolg im Beruf eine Rolle spielen. Beispielsweise soziale Kompetenz oder eine belastbare Psyche sind mindestens genauso wichtig.

Obwohl Pisa zweifellos wichtige Anstöße für Deutschlands Bildungssystem der Zukunft bietet, gilt es, den Mittelweg zwischen Reformen, ihrer Überprüfung und Konsolidierung sowie dem Paradigma der individuellen Bildungsbiographie zu finden.