VON SUSANNE BREM | 06.10.2016 14:46

Citizen Science: Laien in der Forschung

Das Bundesforschungsministerium (BMBF) hat Mitte Juli dieses Jahres eine neue „Richtlinie zur Förderung von bürgerwissenschaftlichen Vorhaben (Citizen Science)“ vorgelegt: Sie verspricht finanzielle Unterstützung für solche Forschung, an der Zivilpersonen (ehrenamtlich) beteiligt sein werden. Daten sammeln, Verhaltensbeobachtungen, Messungen und Auswertungen: Betritt die Bevölkerung bei solchen Projekten nun den wissenschaftlichen Elfenbeinturm? Oder wird hier nur die naive Begeisterung von Amateurforschenden für eine finanzielle Ersparnis ausgenutzt?


Die Citizen Science umschreibt im Allgemeinen wissenschaftliche Forschung, die (ganz oder in Teilen) von interessierten Laien durchgeführt wird; oft, aber nicht zwangsläufig, unter Anleitung und in Zusammenarbeit mit Institutionen wie Universitäten. Diese Art der Zusammenarbeit bringt sowohl für Wissenschaft als auch für die Citizen Scientists Vorteile mit sich: Die Profis geben zeitaufwendige oder teure Aufgaben ab, z. B. solche, die nicht automatisiert werden können wie Feldforschung. In manchen Fällen ist die Beteiligung von Bürgern und Bürgerinnen sogar unverzichtbar, etwa bei der Beobachtung, wo und wie schnell sich eingewanderte Tierarten ausbreiten – flächendeckende Aufmerksamkeit ist hier unabdinglich. Die Teilnehmenden wiederum können mitwirken an politischen oder gesellschaftlichen Themen, eine private Begeisterung für Forschung in Taten umwandeln, können sich systematisch mit ihrer Umgebung und Umwelt auseinandersetzen. Die Zusammenarbeit von Laien und professioneller Wissenschaft hat eine lange Tradition; einige Citizen Science-Projekte haben ihren Startpunkt vor einigen Jahrzehnten, wie der Mückenatlas, die Datenbank über Vogelpopulationen „eBird“ oder auch „Galaxy Zoo“, bei dem unzählige Galaxien von Laien klassifiziert werden. Das Vogelzähl-Projekt „Christmas Bird Count” der National Audubon Society läuft sogar schon seit Anfang 1900 unter Mithilfe von Citizen Scientists.

Kritik und Probleme der Bürgerbeteiligung

Kritische Zungen bemängeln die möglicherweise schlechte Qualität der von Laien gesammelten Daten. Zwar bekommen Freiwillige meist standardisierte Protokolle, damit ihnen die Erwartungen und Vorstellungen der Auftragstellenden klar sind und sie ihre Aufgabe gewissenhaft und präzise erledigen. Allerdings haben auch Protokolle keinen Einfluss auf eventuell unbewusstes Selektieren, auf das Aussortieren von Informationen nachdem ein scheinbares Muster erkannt wurde oder schlicht auf unsauberes Arbeiten und absichtliches Datenfälschen.

Dennoch wird hier eine Verbindung zwischen Wissenschaft und Ottonormalforschung geschaffen, sodass Laien in ihrer Freizeit sehr einfach einen Zugang zu wissenschaftlichen Themen gewinnen können, die Alltagsleben oder Gesellschaft ohnehin berühren; Umweltprobleme oder die Entsorgung von nuklearem Abfall sind Angelegenheiten, die die Bevölkerung betreffen. Hier macht es Sinn, sie tiefgehender daran teilhaben zu lassen, um die Meinungsbildung zu schärfen und sie in die Debatte einzubinden.

Freies Wissen für alle?

Staatliche Förderung der Citizen Science: sinnvoll oder nicht?

Anfang August dieses Jahres hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung ein Programm „zur Förderung von bürgerwissenschaftlichen Vorhaben“ vorgelegt. Der Professor für Wirtschaftstheorie Dr. Peter Finke hält diese Förderung allerdings im Gegenteil für eine Gefährdung für die Citizen Science. Er verweist auf das alte Problem der Wissenschaft, nur diejenige Forschung als solche anzuerkennen, die in einem beruflichen Rahmen betrieben wird und an dafür anerkannten Institutionen stattfindet. Menschen, die sich dem als Hobby in ihrer Freizeit widmen, werden von der Wissenschaft noch immer ignoriert und nicht ernst genommen. Die Grenzziehung zwischen Laienforschung und solcher auf professioneller Ebene wird unverändert scharf gezogen. Das zeigt sich in der neuen Richtlinie, die zum Mitforschen, nicht aber zum Selberforschen auffordert. Citizen Scientists werden lediglich insofern akzeptiert, als dass sie kostenlos Aufgaben übernehmen, für die sonst wissenschaftliche Mitarbeitende angestellt werden müssten – Finke unterstellt also finanzielle Motive beim Beanspruchen von Bürgerforschung.

Der Wirtschaftler schlägt im gleichen Zug zahlreiche Möglichkeiten vor, die die Bürgerwissenschaft tatsächlich fördern würde: Allein alle freie, aktuell betriebene Forschung im ehrenamtlichen Rahmen in einer Bestandsaufnahme zusammenzuführen würde ihr mehr Aufmerksamkeit schenken und ihre Leistungen sichtbar machen. Beiträge von Citizen Scientists könnten an verschiedenen Stellen veröffentlicht werden, besondere Forschungsprojekte könnten mit einem Preis geehrt werden. Finkes Vorschläge setzen allerdings eine bestimmte Haltung voraus: nämlich, dass die Citizen Science nicht nur stupide Datensätze sammelt und Protokolle ausfüllt, sondern tatsächlich auch Fachwissen bereithält und dieses einsetzen kann und möchte. Denn in dieser Art scheint die Laienforschung von der professionell betriebenen Wissenschaft noch immer nicht betrachtet zu werden.