VON SUSANNE BREM | 18.07.2016 16:34

Was macht ein BWL-Studium aus seinen Studierenden? Über Moral und Integrität in der Ökonomie

Umweltverschmutzung, Kinderarbeit, Ausbeutung: Solche Taten zählen gemeinhin als moralisch sehr verwerflich und als etwas, das es zu verhindern gilt. Sich häufende Skandale über Umweltkatastrophen oder Gefährdungen und Manipulationen des Verbrauchers wie in der Automobil- oder der Modeindustrie lassen die Bevölkerung allerdings seit Jahren regelmäßig die Fähigkeit von Managementabteilungen anzweifeln, wirtschaftliche Interessen ihrer Unternehmen mit moralischem Handeln in verantwortungsvoller Weise zu durchweben. Eine Schweizer Studie hat nun untersucht: Ist das Wirtschaftsstudium an der anscheinend kümmerlichen Moral in Chefetagen schuld?

Die NZZ erneuerte kürzlich den quasi stereotypen Vorwurf an die Betriebswirtschaftslehre, das Wirtschaftsleben würde mittlerweile einen außerordentlichen Mangel an Moral aufweisen; unternehmerische Entscheidungen würden allzu sehr von ökonomischen Faktoren angetrieben werden, die vor allem auf finanzielle Gewinnmaximierung abzielen. Menschlichkeit und Integrität blieben dabei allzu oft auf der Strecke oder gingen ganz verloren (der VEEK Hamburg listet regelmäßig externe journalistische Beiträge zum Thema „Markt und Moral“). Forschende der Uni Zürich haben nun eine Studie veröffentlicht, in der sie untersucht haben, ob das auf Wirtschaftlichkeit ausgerichtete Denken im Management- und Ökonomie-Sektor seine Wurzeln bereits im BWL-Studium schlägt.

Was macht ein BWL-Studium aus seinen Studierenden?

Die Studie hat sich mit den schon oft gestellten Fragen auseinander gesetzt, ob ein wirtschaftliches Studienfach den moralischen Kompass prägt und (wenn ja) ob die Studierenden dieses Fach bereits wegen ihres Charakters und bestehenden Moralverständnisses wählen (self-selection effect). Das hieße, dass der Sachgegenstand moralisch ungefestigte oder verwerflich handelnde Menschen besonders anspricht. Alternativ dazu verfolgt die Studie die Frage, ob in ökonomielastigen Studiengängen Ideen und Thesen gelehrt werden, die ein ganzheitliches Denken und die moralische Bewertungsfähigkeit untergraben und die Studierenden auf Egoismus und finanzielle Werte polen (treatment effect). Unterschieden wird bei der Untersuchung im Vorgehen v. a. zwischen Affekt und Kognition: Ist die Fähigkeit bei den Studierenden vorhanden, moralische Einschätzungen in differenzierter Weise vornehmen zu können (affektive Mechanismen)? Und können (und wollen) sie darüber hinaus die Ergebnisse dessen später auch in ihren tatsächlichen Entscheidungsfindungen berücksichtigen und praktisch umsetzen (kognitive Fähigkeiten)?

Die Studie arbeitet mit dem sogenannten C-Score (C für „cognitive“): Er indiziert die kognitiven Fähigkeiten, also das Vermögen zum praktischen Anwenden und Einbeziehen ethischer Richtlinien und Einschätzungen bei der moralischen Entscheidungsfindung (eine Skala zwischen 0 und 1, je niedriger der Wert, desto unmoralischer).

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Laut der Schweizer Evaluation ist kein signifikanter systematischer Zusammenhang erkennbar zwischen wirtschaftlichem Studienfach und Auffassung und Reflexion von Moral bei den entsprechenden Studierenden. Sowohl „treatment effect“ als auch „self-selection effect“ werden damit als nicht greifend zurückgewiesen. Die Studie dementiert aber auch signifikante Abweichungen weiterer Studienfächer voneinander im durchschnittlichen C-Score-Wert: Jura, Theologie und die Naturwissenschaften prägen genauso wenig den Moralkompass ihrer Studierenden. Auch unterscheiden sich die Ergebniswerte von BA- und MA-Studierenden beinahe gar nicht. Einzige Ausnahme: In medizinischen Fächern wird das Moralverständnis laut Studie mit zunehmender Semesterzahl etwas aufgeweicht – zurückzuführen auf hohen Druck und Stress beim Lernen, was sich auf das Urteilsvermögen auswirken soll. Einen Einfluss der universitären Bildung auf die Moralauffassung der eingeschriebenen Zuhörerschaft schließt die Schweizer Studie demnach weitgehend aus.

Kritik: Bildungsauftrag deutschsprachiger Unis zu knapp bemessen?

Wenn aber auch die Universität keine Moral untergräbt: Genauso wenig vermittelt sie anscheinend eine humanistische Denkweise oder erzielt positive Effekte auf ein ethisches Verständnis und Handeln im späteren Berufsleben; ein bitteres Zeugnis für die deutschsprachigen Universitäten. Soll reiner Wissenstransfer denn ausreichend sein als Ziel und Zweck einer akademischen Ausbildung? Dies wirft die Schweizer Forschergruppe Europas deutschsprachigen Universitäten gleichermaßen vor: Ohne holistisches Bildungsmilieu könne sich auch keine moralische Weiterentwicklung einstellen. Statt „ethikbezogene Extras“ nur separiert in den Ehrenamtsbereich im Lebenslauf zu verbannen, sei ein unmittelbares Verankern in die Studieninhalte wichtig. Erkennen von komplexen moralischen Zusammenhängen, sie reflektieren und in angrenzende Überlegungen einbetten, den offenen Diskurs darüber mit anderen wagen – notwendige Bestandteile einer ganzheitlichen Lernumgebung, die die Studie in deutschsprachigen Universitäten jedoch als fehlend kritisiert. Dem Humboldt‘schen Bildungsideal entspricht diese Qualität der Lehre jedenfalls nicht.