VON SUSANNE BREM | 13.07.2017 11:10

Jung, motiviert, „ausbildungsreif“: die derzeitige Lage auf dem Lehrstellenmarkt laut Berufsbildungsbericht 2017

Alljährlich veröffentlicht das Bundesinstitut für Berufsbildung seinen Bericht mit Zahlen über die beruflichen Wege und Optionen junger Schulabsolventen. Die Statistiken darin versprechen auf den ersten Blick Gutes: 2016 waren 563.808 Ausbildungsplätze für 547.728 Bewerbende verfügbar – gibt es also genug Lehrstellen für alle Interessierten? Ja, lobt der Bericht; nein, stellt z. B. der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) klar. Die beiden legen unterschiedliche Zahlen vor: 20.600 Schulabsolventen ohne Ausbildungsplatz versus 283.000. Wer hat Recht? Woher kommt diese Differenz? Und was verrät der Berufsbildungsbericht darüber hinaus?


Die FAZ tituliert, die Aussicht auf einen Ausbildungsplatz sei aktuell „so gut wie nie“ – aber stimmt das auch? Sie beruft sich auf die Zahlen, die der Berufsbildungsbericht 2017 vorlegt. 520.300 neue Ausbildungsverträge seien vergangenes Jahr abgeschlossen worden, sogar 1,1 Prozent weniger Interessierte als im Vorjahr seien leer ausgegangen. Dabei wären 43.500 Stellen unbesetzt geblieben (4,5 Prozent mehr als 2016). Die Wirtschaft beklagt einen wachsenden Fachkraftmangel, gleichzeitig bilden immer weniger Betriebe selbst aus (nur noch jeder fünfte). Scheinbar besteht auf beiden Seiten genug Interesse, dennoch bleiben beide Seiten mit einer „Leerstelle“ zurück. Wie kommt das?

Geschönte Zahlen im Berufsbildungsbericht?

Bereits aufgekommene Kritik verweist auf verschiedene Maßnahmen und „Tricks“, die den Lehrstellenmarkt in ein besseres Licht rücken. Jugendliche etwa, die sich bei der Agentur als eine Ausbildung suchend melden, gelten zunächst lediglich als „Ratsuchende“ und bleiben als solche in den Statistiken außen vor. Diese Ratsuchenden werden eingeteilt in „ausbildungsreif“ und „ungeeignet für eine Ausbildung“. Letztere werden ebenso nicht berücksichtigt in der Zahl derer, die zum Stichtag am 30. September ohne Lehrstelle dastehen – sie werden als irrelevant angesehen für diese Erhebung.

Da von 547.728 „ausbildungsreifen“ Bewerbern und Bewerberinnen im vergangenen Jahr nur 264.447 (knapp 48,3 Prozent) eine Lehre begonnen haben, bleibt eine Differenz von 283.281 jungen Menschen ohne Ausbildungsvertrag. 20.600 davon nennt der Bericht selbst. Die übrigen 262.681 Jugendlichen befanden sich 2016 in sogenannten Übergangsangeboten: Berufsvorbereitungsjahr in einer Einrichtung, Einstiegsqualifizierungen, Praktika, Nebenjobs etc. In diesem Übergangsbereich zwischen Schule und Ausbildung sind damit 12,2 Prozent mehr als im Vorjahr – ohne dass die Perspektiven im Anschluss besser wären und die Zahl abgeschlossener Ausbildungsverträge hinterher steigen würde. Diese Jugendlichen zählen im Berufsbildungsbericht aber zumindest nicht zu denjenigen, die leer ausgegangen sind und „unversorgt“ sind. Nur 20.600 statt mehr als die zehnfache Anzahl muss so als unvermittelt angegeben werden; eine Masche, um die Zahlen zu schönen, so der Vorwurf.

Wie schließt man die Lücken?

Unbesetzte Lehrstellen und gleichzeitig Jugendliche ohne Ausbildungsstelle – scheinbar eine simple Rechnung, dahinter stehen jedoch tiefergehende Passungsprobleme. Der Platz für die Traumausbildung ist vielleicht mehrere hundert Kilometer entfernt oder mit dem Chef gibt es zwischenmenschliche Probleme. Firmen beklagen dagegen, dass die Jugendlichen oft die grundlegenden Anforderungen nicht erfüllen würden. Die letzten Jahre zeigen außerdem klare Tendenzen: Für junge Menschen mit Hauptschulabschluss wird es immer schwieriger, denn zwei Drittel der Ausbildungsplätze der Industrie- und Handelskammern z. B. erfordern mindestens die mittlere Reife.

Zahlreiche Berufe seien für die Jugendlichen außerdem zu unattraktiv. Besonders hoher Mangel herrscht etwa im Bäckerei- oder Fleischereihandwerk, im Gerüstbau, im Restaurantfachbetrieb und der Gastronomie. Körperlich anstrengende Arbeit und schwierige Arbeitszeiten bei geringem Verdienst lehnt ein Großteil der Schulabsolventen ab. Es herrscht daher einiges an Nachholbedarf, um das duale Ausbildungssystem Betrieben wieder schmackhafter zu machen und unterversorgte Metiers den Anforderungen und Wünschen der Jugendlichen anzugleichen, damit sie für sie „wählbarer“ werden. Das eine Ziel soll schließlich sein, den direkten Übergang vom Schulabschluss in die Ausbildung zu schaffen; langfristig soll aber auch der Lehrstellenmarkt stabilisiert und dabei den heutigen Ansprüchen von Ausbilder- wie Bewerberseite gleichermaßen gerecht werden.