VON ANNETTE BUTENDEICH
|
02.10.2012 16:28
Wilde Tiere im Zirkus: Kulturelle Tradition oder Tierquälerei?
Gehören wilde Tiere in den Zirkus oder nicht? Die Kritik aus den Lagern der Tierschützer und Umweltverbände ist hart und ihre Forderung kompromisslos: Artgerechte Haltung von Wildtieren im Zirkus ist unmöglich, deswegen soll ein Verbot her. Doch es gibt auch prominente Gegenstimmen aus der Wissenschaft, die sagen, Zirkustiere seien glücklicher als Zootiere.
Spontan verbinden wahrscheinlich die meisten Menschen den Zirkus mit nostalgischen Kindheitserinnerungen an eine faszinierend fremde Welt voller Zauber und Magie, eine glitzernde Manege mit verwegenen Akrobaten auf dem Hochseil, komischen Clowns und natürlich den herrlichen wilden Tieren. Doch in den Glitzer der Manege mischt sich seit Jahren immer mehr Kritik und Protest gegen die Haltung von Tieren im Zirkus, insbesondere der Wildtiere.
Vor allem Tierschutzverbände kritisieren die Bedingungen, unter denen Wildtiere im Zirkus gehalten werden: Die Unterbringung, Pflege und Versorgung dieser Tiere könne im Zirkus niemals artgerecht sein, vor allem für Elefanten, Flusspferde, Bären und Affen. In Freiheit bewegen sich diese Tiere in Gebieten, die bis zu 1.000 Quadratkilometer groß sind. Zwar gibt es seit einer Weile ein Dokument mit Leitlinien für die Haltung, Ausbildung und Nutzung von Tieren in Zirkusbetrieben oder ähnlichen Einrichtungen, doch Veterinärämter sind mit der Überwachung offenbar oft überfordert. Die vom Landwirtschaftsministerium 2012 vorgelegte Novellierung des Tierschutzgesetzes besagt zwar, dass bestimmte Wildtierarten in der Manege per Verordnung verboten werden können, doch nach Auffassung der Tierschutzverbände ist das Gesetz fachlich und rechtlich unzureichend. Einige deutsche Kommunen haben ihre eigene Art des Widerstands gefunden: in Potsdam oder Speyer haben die Stadträte Verbote verhängt, dort werden den Zirkussen keine Standortplätze auf städtischem Gelände vermietet. In 14 europäischen Ländern ist die Haltung von Wildtieren in Zirkussen bereits eingeschränkt oder verboten, darunter Schweden, Finnland, Dänemark und Österreich.
Studiengang Wildlife Management
Ein Hauptaugenmerk wird hierbei auf das Management einer Organisation für Mensch, Tier und Natur gelegt, um Wege zu ebnen, dass Mensch und Tier miteinander leben können.
[...]»
Aber sind die Tiere im Zirkus wirklich schlimmer dran als ihre Artgenossen im Zoo? Im Gegenteil, sagt der angesehene Verhaltensbiologe Dr. Immanuel Birmelin. Ihm zufolge hat ein Verbot von Wildtieren im Zirkus keinerlei wissenschaftliche Grundlage.
Untersuchungen von Wildtieren während und nach einem Transport hätten keine erhöhten Stresshormone bei den Tieren ergeben. Zudem würden Zirkustiere, im Gegensatz zu Zootieren vielmehr Lernen, Training und Unterhaltung genießen und seien dadurch glücklicher. Auch die Unterbringung hätte sich in den letzten Jahren entscheidend verbessert. „Wer behauptet, der Zirkus bedeute für sie ein leidvolles Leben, der weiß einfach nicht, wovon er spricht“, so Birmelin. Eine Ausnahme macht er nur bei Bären und Schimpansen.
Aus verhaltensbiologischer Sicht gibt es demnach keinen Grund für ein Verbot von Elefanten oder Raubtieren im Zirkus. Und es spricht viel dafür, dass Dompteure ihre Tiere lieben und sie nicht fahrlässig quälen. Befürworter von Zirkussen mit Wildtieren sehen außerdem Arbeitsplätze und das traditionelle Kulturgut „Zirkus“ gefährdet. Trotzdem bleibt fraglich, welchen Wert Zirkusvorführungen mit Wildtieren haben. Schließlich erfahren die Zuschauer in der Manege nichts über das Leben der Tiere in freier Wildbahn und auch nichts über die Bedrohung der Arten. Stattdessen sehen sie Löwen auf Discokugeln oder Bären auf einem Fahrrad. Ein zweifelhafter Unterhaltungswert für spaßsüchtige Konsumenten? Wäre ein imposanter Auftritt einer Elefantenherde in der afrikanischen Savanne nicht weitaus wertvoller, auch wenn er nur in einem Dokumentarfilm stattfindet und nicht live? Sicher ist, dass es etliche erfolgreiche Zirkusse gibt, die freiwillig auf Tierdressuren verzichten, z.B. Roncalli.