VON CLEMENS POKORNY
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07.09.2014 15:09
Walfang für die Wissenschaft?
Das internationale Walfangverbot greift dank des Drucks der Weltöffentlichkeit immer besser. Doch Japan hat sich aktuell ein neues juristisches Schlupfloch gesucht, um seine heftig kritisierte Tradition fortzusetzen. Dafür bedient es sich nach wie vor des Deckmantels angeblicher wissenschaftlicher Zwecke, um auch in Zeiten arg dezimierter Populationen noch Fleisch der Meeressäuger „produzieren“ zu können.
Ende März dieses Jahres untersagte der Internationale Gerichtshof in Den Haag dem Staat Japan, weiterhin im Südpazifik Wale zu wissenschaftlichen Zwecken zu jagen. Australien und Neuseeland hatten Nippon verklagt, weil die Länder an der Wissenschaftlichkeit des Programms zweifelten. Das sahen die Richter genauso: Zu viele Meeressäuger seien getötet worden, als dass Japans Argumentation glaubhaft sein könnte. Dessen Reaktion: Künftig jagen die Walfänger nur noch im Nordpazifik, angeblich weniger als zuvor, doch mit dem erklärten Ziel, wissenschaftliche Daten über die Tiere zum Zweck einer mittelfristige Rückkehr zum kommerziellen Fang zu sammeln.
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Japan gehört zu nur drei Ländern, die sich nicht an das seit 1986 weltweit gültige Walfang-Moratorium halten – von Ausnahmegenehmigungen für ein paar indigene Völker abgesehen. Island hat die Jagd zu vorgeblich wissenschaftlichen und seit 2006 auch zu kommerziellen Zwecken erlaubt, jedoch nur in sehr geringem Rahmen. Alles andere wäre für das Land auch kontraproduktiv, verdienen die Isländer doch mit Touristen, die Wale beobachten möchten, deutlich besser als mit dem Erlegen der Tiere. Norwegen wiederum verteidigt seine Tradition, die starken Rückhalt in der Bevölkerung genießt, aber auch dort ist Walfang eine Randerscheinung und die bejagte Spezies (Zwergwale) weit davon entfernt, gefährdet zu sein. Alle anderen Länder haben den Walfang längst aufgegeben.
Das war nicht immer so: Schon in prähistorischer Zeit stellte man den sanften Riesen der Meere nach, wie Höhlenmalereien und Schnitzereien in Walzähnen zeigen. Schon im 12. Jahrhundert bejagten die Basken Wale so intensiv, dass diese in ihren Gewässern ausstarben. Von Anfang des 17. Jahrhunderts an befuhren Walfänger aus allen am Nordatlantik gelegenen Ländern die Ozeane. Ihre Begierde galt aber nicht dem Fleisch, sondern dem Fett der Wale, das als Speisefett, Brennstoff in Lampen oder als Grundlage von Suppen und Salben genutzt wurde. Kaum war dieser „Tran“ – nicht zu verwechseln mit dem Lebertran aus Dorschlebern – in Lampen durch Petroleum ersetzt, erlebte der Walfang ab Mitte des 19. Jahrhunderts aufgrund der Erfindung der Margarine einen erneuten, traurigen Aufschwung. Nun wurde auch Sprengstoff eingesetzt, um große und schnelle Wale zu erlegen, bevor sie abtauchten. Erst in den 1930er-Jahren erkannte man, dass die Walpopulationen so sehr dezimiert waren, dass sie sich ohne Fangbeschränkungen nie wieder erholen würden. Doch erst nach dem 2. Weltkrieg wurden mit dem
Internationalen Übereinkommen zur Regelung des Walfangs Richtlinien für den weltweiten Schutz der Meeressäuger erlassen.
Dass nun seit 1986 mit den genannten Ausnahmen fast keine Wale mehr gejagt werden, daran stört sich niemand, weil es so gut wie nirgends Nachfrage nach Walfleisch gibt – und weil der Wissenschaft tote Wale, die immer wieder stranden und auf diese Weise ohnehin zugänglich sind, wenig nützen.
Forscher beobachten die Tiere, verfolgen ihre Routen anhand von Peilsendern, analysieren ihre Ausscheidungen und ihren Blas – also ihre feuchte Atemluft, die wie eine Fontäne ausgestoßen wird – und zeichnen ihre Rufe auf. Die
Sondergenehmigungen, die Japan und Island für ihre angeblichen Forschungszwecke nutzen, dienen also nur als Deckmantel – und als Blankoscheck: Denn die Länder können sie erstens nach Gutdünken selbst ausstellen und sind zweitens sogar dazu verpflichtet, das Fleisch der erlegten Tiere bestmöglich zu verwerten (während es in früheren Jahrhunderten, da man sich nur für den Speck interessierte, ins Meer zurückgeworfen wurde).
Obwohl in Japan kaum jemand Walfleisch essen möchte, geht es nun den nordpazifischen Tieren an den Kragen – immerhin sind ihre Artgenossen
im antarktischen Schutzgebiet vorerst in Sicherheit.
Warum die Japaner überhaupt so großen Wert auf ihre weltweit kritisierte Tradition legen, ist unklar – vielleicht, weil sie der Verwestlichung ihres Landes etwas sehr Eigenes entgegensetzen wollen? Während der
Edo-Zeit (1603-1868) hatte sich Japan gegenüber ausländischen Einflüssen fast völlig abgeschottet – was Nippon im 20. Jahrhundert bekanntlich nicht mehr davon abhielt, westliche Technik im großen Stil abzukupfern und auf diese Weise doch einiges europäische und nordamerikanische Kulturgut zu übernehmen. Auch das
buddhistisch begründete, jahrhundertelange Fleischverbot mag eine Rolle dabei spielen, dass die Japaner anscheinend alles essen möchten, was aus dem Meer kommt, ganz ähnlich wie hierzulande einst findige Mönche das Fastengebot dadurch umgingen, dass sie Biber zu Fischen erklärten und deren Fleisch aßen. Doch Säugetiere wie Biber und Wale können genauso wie wir Schmerzen empfinden. Warum sollten wir sie ihnen antun, wenn wir nicht darauf angewiesen sind und wenn dies nicht einmal der Wissenschaft dient?