VON JOACHIM SCHEUERER | 22.08.2013 13:48

Die Intelligenz unseres Fleisches oder: Wie klug sind unsere Mitgeschöpfe

Mittlerweile müsste es sich herum gesprochen haben: Viele Tierarten sind zu äußerst intelligentem Verhalten fähig. Über 350 Jahre, nachdem Rene Descartes von den Tieren als Automaten sprach, wissen wir von Nüsse knackenden Schimpansen, Metalldraht verbiegenden Krähen, voraus planenden Hunden und sogar Elefanten, die Totenwache halten. Und auch unsere Nutztiere wie Kühe, Schweine, Schafe, Pferde und Hühner scheinen in hohem Maße zu komplexen Verhaltensweisen und Gefühlsregungen im Stande. Die zum Teil kontrovers diskutierten Bewegungen der letzten Jahre im Bereich der Tierverhaltensforschung und -ethik haben mitunter erhebliche Konsequenzen für den Umgang mit unseren "Mitgeschöpfen", wie sie im Grundgesetz heißen. Die aktuellen Zustände in der Tiernutzung wirken demnach wie unzeitgemäße und längst überholte Vorstellungsrelikte aus einer vergangenen Zeit.

Vegane Ernährung


Der kanadische Philosoph Will Kymlicka geht derzeit wohl am weitesten mit seinen Schlussfolgerungen aus den aktuellen philosophischen, biologischen und zoologischen Befunden. Ihmzufolge müssten unsere domestizierten Tiere nicht nur als Mitgeschöpfe, sondern vielmehr als Mitbürger angesehen werden, denen ebenfalls eine Reihe an Grundrechten und Bürgerrechten zustünden, wenngleich aktive Rechte wie z.B. das Wahlrecht etc. mithilfe von gesetzlichen Vertretern geregelt werden müssten. Hierbei aktualisiert er im Grunde genommen Albert Schweitzers Auffassung vom "Leben, das leben will, inmitten von Leben, das leben will", wobei es Kymlicka weniger um den Wert geht, den der Mensch tierischem Leben beimisst, als um den prinzipiellen Respekt vor dem Lebenswunsch anderer Spezies. Die niedrigere Organisationshöhe eines Lebewesens ist kein Grund für die Geringschätzung seiner prinzipiellen Interessen, wie z.B. Unversehrtheit, Schutz und dergleichen, welche jenen des Menschen in vielerlei Hinsicht entsprechen.

Analog dazu ist eben auch Intelligenz keine reine Menschendomäne. Viele unserer Fähigkeiten tauchen bereits in früheren Evolutionsstufen und bei anderen Arten und Spezies auf.

Schimpansen knacken seit über 4000 Jahren Nüsse mithilfe von einfachen Werkzeugen. In Japan gibt es Krähen, die beim Nüsseknacken sogar noch origineller sind und Nüsse auf die Straße werfen, damit Autos das Knacken für sie übernehmen. Krähen wird darüber hinaus Einsicht unterstellt, seit man beobachten konnte, wie Saatkrähen sich ein Werkzeug aus Metalldraht formen, ohne dies jemals zuvor durch Nachahmung oder mehrmaliges Versuchen gelernt zu haben.

In Sachen sozialem Verhalten und Empathie finden wir ebenfalls viele menschlich wirkende Verhaltensweisen bei Tieren wieder. So greifen Pferde der Pferdeforscherin Konstanze Krüger zufolge beispielweise auf Konfliktlösungsstrategien zurück und bemühen sich um Streitschlichtung, Bestrafung oder Wiedergutmachung. Desweiteren sind Ratten laut Forschungen an der University of Chicago fähig zu altruistischem Verhalten und riskieren den Verlust von Nahrung, um andere Ratten aus der Gefangenschaft zu befreien.

Die Tierschutzorganisation PETA verweist zudem auf emotionale Reaktionen wie Trauer, Wut Verzweiflung etc., die Kühe, Schweine und Co. besonders in Zusammenhang mit den schlimmen Haltungs- und Schlachtbedingungen zeigten. So sind unter der Annahme tierischer Intelligenz und Empathie bei Tieren besonders solche Praktiken, wie z.B. die Trennung des Kalbes von der Mutter zur Gewinnung von Milch und Kalbfleisch als äußerst problematisch einzustufen.

Sicherlich muss man vorsichtig mit der Vermenschlichung von Tieren sein. Dennoch erscheint die vielerorts immer noch anhaltende Skepsis gegenüber Formen von Intelligenz und Empathie im Tierreich bisweilen wie Hybris und Vermessenheit. Zudem stellt sich die Frage, inwiefern die Ähnlichkeiten zwischen uns und anderen Spezies überhaupt relevant für unser Verhalten ihnen gegenüber sein sollten. Zielt dies nicht am eigentlichen Problem vorbei? Spielt die Frage wie und ob Tiere denken können und ob sie das Leid bewusst wahrnehmen können nicht vielleicht eine untergeordnete Rolle? Der pathozentrischen Perspektive zufolge, ausgehend von Jeremy Bentham und Schopenhauer, ist allein die Leidensfähigkeit der Tiere ausschlaggebend für das Verhalten ihnen gegenüber. Für Schopenhauer ist die Grausamkeit gegenüber Tieren sogar eine Grausamkeit gegen die eigene Menschlichkeit. Für den modernen Menschen, der neben Hunden und Hauskatzen wenig Kontakt zu Tieren hat und der seinem Essen nicht mehr in die Augen schauen muss, bevor er es verzehrt, hat das Leiden kein Gesicht und keinen Spiegeleffekt mehr. Andernfalls würde er vielleicht häufiger so etwas wie Mitgefühl empfinden. Vielleicht sollte der neu ausgerufene "homo empathicus" auch seinem Essen tatsächlich wieder einmal mehr in die Augen schauen und sich die Frage nach der Intelligenz der Tiere dann noch einmal stellen.