Werte sind das Salz in der Suppe einer modernen Gesellschaft. Werte definieren, wonach wir als Gesellschaft, aber auch als Einzelne, streben und welche Ziele wir im Leben verfolgen. Streben wir vor allem nach Besitz, Wohlstand und Ordnung? Oder suchen wir das Risiko, streben nach Selbstverwirklichung und glauben an non-konforme Ideale? Der gesellschaftliche Wertekanon ist einem ständigen Wandel unterworfen und wird immer komplexer und umfangreicher. Werte, die noch vor einigen Jahren als zentral galten, müssen heute nicht mehr für jeden verbindlich sein. Als Wertewandel bezeichnet man diese Entwicklung – einige sprechen sogar kritisch vom Werteverfall. Die Soziologie beschäftigt sich bereits lange mit dem komplizierten Begriff der Werte und kennt auch die Gründe für den Wertewandel.
Erziehung und Mangelerfahrung als Grundlage des Wertewandels
Die menschliche Persönlichkeitsentwicklung ist stark von den übernommenen Werten in der Kindheit geprägt. In welche Schicht, beziehungsweise welches Milieu ein Kind hineingeboren wird, und welche Werte die Eltern vorleben definiert zu einem großen Teil, wie wir uns entwickeln und welche Werte wir selbst im Erwachsenenalter verfolgen und verteidigen. Welche Werte eine Gesellschaft für sich als die zentralsten und wichtigsten ansieht, ist in einer Art Wertekanon gebündelt. Dieser ist aber nicht unveränderlich, sondern unterliegt einem stetigen Wandel. In Deutschland hatten vor allem die Zeit des Wiederaufbaus nach dem Zweiten Weltkrieg sowie die zunehmende Globalisierung und die Entwicklungen des 21. Jahrhunderts Einfluss auf das, was wir als Gesellschaft wertschätzen.
Der amerikanische Soziologe Ronald Inglehart geht davon aus, dass zwei Aspekte besonders auf die Bildung und Entwicklung von Werten Einfluss haben: Erstens der Mangel. So hat der Mensch grundsätzlich immer das stärkste Bedürfnis nach einem Gut, wenn dieses im Moment nicht oder nur knapp verfügbar ist. Zweitens fußen Ingleharts Theorien auf der Annahme, dass Werte vor allem in der Kindheit ausgeprägt werden, und dann so gut wie unveränderlich sind. Vor allem das Elternhaus und das familiäre Umfeld haben einen entscheidenden Einfluss darauf, was wir wertschätzen und welche Ziele wir im Leben verfolgen.
Wertewandel nach dem 2. Weltkrieg: Von materialistischen zu postmaterialistischen Werten
Nach Ende des Zweiten Weltkrieges etwa waren vor allem materialistische Ziele vertreten: Besitz, Wohlstand, der Wunsch nach Ordnung und Beständigkeit. Einen nicht unerheblichen Anteil an dieser Entwicklung hatte wohl die Einführung eines kapitalistischen Wirtschaftssystems sowie die Übernahme der Demokratie. Schon in den Folgegenerationen des deutschen Wirtschaftswunders erleben wir allerdings wieder einen Wertewandel: Da das Bedürfnis nach Besitz größtenteils befriedigt ist und die neuen Generationen in den Wohlstand hineingeboren werden, werden neue Ideale wichtig, wie Selbstverwirklichung und Kommunikation. Diese sogenannten postmaterialistischen Werte prägen die Generationen bis in die 90er-Jahre hinein
Das 21. Jahrhundert: Globalisierung schafft komplexe Wertehybride
Mittlerweile hat sich der Unterschied zwischen den materialistischen und den postmaterialistischen noch weiter aufgefächert. Nach dem deutschen Soziologen Helmut Klages lassen sich heute grob fünf Wertetypen ausmachen: Die aktiven Realistischen, die Konventionalistischen, die non-konformen Idealistischen, die perspektivenlos Resignierten sowie die hedonistischen Materialistischen. Die Zuordnung zu diesen Milieus kennzeichnet, welche Ideale einem Menschen im Leben besonders wichtig sind. Für die Konventionalistischen sind das beispielsweise der Wunsch nach Ordnung und die Ablehnung rascher Veränderungen; die Idealistischen hingegen streben nach der Durchsetzung ihrer Ideale und sind von starker Frustration ob der Ist-Situation in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft geprägt.