VON MAXIMILIAN REICHLIN
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15.08.2016 13:19
Achtsamkeit und Aufmerksamkeit – Stressreduktion durch meditative Praktiken
Viele Menschen haben im Alltag immer öfter mit Stress oder einem Gefühl der Ausgelaugtheit zu kämpfen. Der Grund dafür: Die Schnellebigkeit unserer Zeit lässt ihnen kaum mehr Augenblicke, in denen sie kurz innehalten und die Sorgen des Alltags vergessen könnten. Achtsamkeitsübungen sollen Abhilfe schaffen. Als fester Bestandteil von Psychotherapie und Meditationstechniken gilt die Achtsamkeit seit den 70er-Jahren als Rezept gegen anhaltenden Stress, vor allem im Beruf. Ursprünglich stammt das spirituelle Prinzip aus den buddhistischen Lehren und zielt darauf ab, die Welt, so wie sie ist, in ihrer Gegenwärtigkeit zu erfahren. Wie das geht und was sonst noch hinter der Achtsamkeit steckt, erläutert UNI.DE.
Unsere schnelllebige Zeit bietet uns viele Vorteile – aber auch eine ganze Menge Stress. Viele von uns bewegen sich durch den Tag wie in einem Hamsterrad: Immer gleich, ständig in Eile und ohne erkennbaren Sinn. Das geht nicht selten auf Kosten der Gesundheit. Stressbedingte depressive Störungen, sogenannte Burn-Outs, sind mittlerweile die zweithäufigste Ursache für das Fehlen am Arbeitsplatz. Doch selbst diejenigen von uns, die nicht an einer solchen Krankheit leiden, haben mittlerweile größtenteils verlernt, den Alltag zu vergessen, innezuhalten und den Tag zu genießen oder wertzuschätzen.
Achtsamkeit bedeutet, das Hier und Jetzt zu betrachten
Das Heilmittel gegen diesen Zustand, so die Psychotherapie, heißt Achtsamkeit. Dieses spirituelle Prinzip wird mittlerweile in vielen Behandlungsmethoden angewendet, um Stress zu reduzieren. Grundsatz der Achtsamkeit: Die Aufmerksamkeit auf die Gegenwart zu richten, das Hier und Jetzt zu betrachten. Beispielsweise am Morgen unter der Dusche: Anstatt den Tag zu planen und im Geiste eine Checkliste mit nötigen Erledigungen anzulegen, sollten wir einfach für einen Moment das warme Wasser genießen und unsere Aufmerksamkeit auf das richten, was wir gerade tun. Heilpraktikerin Marlies Sonnentag fasst die Achtsamkeit zusammen: „Bleiben Sie stehen, gewöhnen Sie sich an, mal zu verweilen.“
Was leicht klingt, gestaltet sich im Alltag oft schwierig. „Oft bleiben wir, ohne es zu merken, im Stress“, so Sonnentag. Sie rät daher zu regelmäßigen Übungen. Das erlebte Duschen kann eine davon sein, aber auch Atemübungen, Tee trinken oder Barfuß durch das Gras laufen können Wirkung zeigen. Grundgedanke ist immer, dass man das, was man tut, bewusst erfährt, ohne dabei gleichzeitig an fünf andere Dinge zu denken. Zum erzwungenen Multitasking, vor allem im Job, sei unser Gehirn sowieso nur bedingt fähig, so der Psychologe Dirk Windemuth. „Tatsächlich strengt uns diese Hin- und Herschalten enorm an – wir vergeuden Energie.“ Das Ergebnis der fehlenden Achtsamkeit: Stress und im schlimmsten Falle psychische Probleme.
Multitasking
Mittlerweile lassen Studien den Schluss zu, dass das mit der Effizienz beim Multitasking nicht besonders gut aussieht und dass diese Fähigkeit sogar schlecht für den jeweiligen Menschen sein kann
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Die Ursprünge der Achtsamkeitsmeditation
In Europa ist das Prinzip der Achtsamkeit erst seit den 70er-Jahren bekannt und wird seitdem als Therapieansatz erforscht. Ein weit verbreiteter Ansatz ist beispielsweise die achtsamkeitsbasierte Stressreduktion oder
MBSR (Mindfulness-based stress reduction). Dieses Programm enthält neben Achtsamkeitsübungen auch Yoga- und Meditationstechniken und wurde in den späten 70ern von Jon Kabat-Zinn zur
Behandlung chronischer Schmerzpatienten entwickelt. Heute ist die Achtsamkeit ein fester Bestandteil verschiedenster psychischer und körperlicher Heilverfahren. Vor allem dem berufsbedingten Stress soll durch gezielte Achtsamkeitsmeditation vorgebeugt werden.
Ursprünglich stammt die Achtsamkeit als Bestandteil der Meditation aus den buddhistischen Lehren. Hier wird sie auch als Vipassana bezeichnet, und hat
vier grundlegende Aspekte: Den eigenen Körper, die Gefühle und ihre Qualität, den Geist und dessen Zustand sowie alle wahrgenommenen Dinge und Personen. Die buddhistische Achtbarkeitsmeditation erfordert von den Meditierenden einen offenen und möglichst umfassenden Blick auf die Welt: Alle Erfahrungen sollen aufgenommen und gemäß den ihnen innewohnenden Eigenschaften betrachtet werden.
„Aus dem Hamsterrad aussteigen“ und „Rosenknospen pflücken“
In diesem Sinne ist die Achtsamkeit, obwohl oft als Synonym verwendet, das Gegenteil zur Konzentration. Konzentrieren wir uns, verengen wir unsere Aufmerksamkeit und fokussieren sie auf ein einziges Objekt oder einen einzigen Gedanken. Aufmerksamkeit dagegen soll genau diese Fokussierung lösen, die Aufmerksamkeit auf alle umgebenden Dinge richten. „Aus dem Hamsterrad aussteigen“, nennt es der Innsbrucker Psychiater und Therapeut Michael Harrer; „eine Beobachterrolle einnehmen.“ Das bedeute innezuhalten, keine Urteile zu fällen, wohlwollend zu denken und die Aufmerksamkeit auf die Gegenwart zu richten, anstatt auf die Sorgen in der Vergangenheit oder die Pflichten und Aufgaben in der Zukunft.
„Pflückt Rosenknospen, solange es geht, die Zeit sehr schnell euch enteilt.“ So beschreibt Robert Herrick in seinem berühmten
Gedicht das Leben im Hier und Jetzt und die Vergänglichkeit des Lebens. Auch zur Achtsamkeit passen diese Zeilen recht gut. Und gerade heutzutage wird die Fähigkeit, Rosenknospen zu pflücken, immer wichtiger. Das gilt für die gestresste Hausfrau und Mutter ebenso wie für den ausgelaugten Firmenvorstand; für die Büroarbeiterin ebenso wie für den schuftenden Bauarbeiter. Aus diesem Grund ist die Achtsamkeit als Prinzip in viele Heilpraktiken eingegangen, wird als Meditationstechnik oder im Rahmen von Seminaren gelehrt. UNI.DE rät: Lass die Achtsamkeit auch in deinen Alltag eingehen und halte einmal wieder kurz inne – du wirst es nicht bereuen.