VON CLEMENS POKORNY
|
27.12.2013 15:02
Gesundbleiben!
Ärzte sind wie Feuerwehrleute: Sie greifen erst ein, wenn es schon (fast) zu spät ist. Auf dem Feld des Tabakrauchens etwa wird heute ein Kampf darüber ausgefochten, wie viel uns Gesellschaft und Staat bei unserer Gesundheit hereinreden dürfen oder sollen. Das war nicht immer so: Früher kümmerten sich Mediziner weniger um Krankheiten, die sie oft ohnehin nicht heilen konnten, als vielmehr darum, wie die Gesundheit zu erhalten sei – und machten penible Vorgaben zur Lebensführung (gr. díaita = Diät). Wir können einiges von ihnen lernen.
„Bitte bleiben Sie gesund!“ Der Slogan eines Arzneimittelherstellers klingt, böswillig betrachtet, paradox angesichts der Tatsache, dass Pharmazeuten ihr Geld an Kranken verdienen. Und auch Ärzte gehören zu denjenigen, deren Aufgabe darin zu bestehen scheint, sich weitgehend selbst überflüssig zu machen. Zumindest theoretisch – praktisch kümmern sich Medizin und Krankenkassen bekanntlich kaum darum, die Gesundheit der Bevölkerung zu erhalten, schon alleine weil sie mit Heilung bzw. deren Finanzierung genug zu tun haben. Das war aber nicht immer so.
Kein Geld für Gesundheit
Auch im Wohlstandsland Deutschland: Arme sterben früher als Reiche
[...]»
Wie der Medizinhistoriker Dr. Dr. Daniel Schäfer
bei einer Tagung im Herbst 2013 prägnant herausgearbeitet hat, befassten sich europäische (und nordamerikanische) Ärzte von der Antike bis Anfang des 19. Jahrhunderts vorwiegend damit, die Gesundheit der Menschen zu erhalten. Im Altertum etwa wurde Gesundheit nicht, wie heute, ex negativo und somit sehr unterbestimmt als „Abwesenheit von Krankheit“ definiert. Vielmehr verstanden Ärzte wie Hippokrates und
Galen darunter eine Funktion der Natur im Menschen: ein Gleichgewicht zwischen gegensätzlichen Einflussfaktoren, nämlich der postulierten Körperflüssigkeiten gelbe und schwarze Galle, Blut und Schleim („
Vier-Säfte-Lehre“). Diesen Säften wurden Qualitäten wie warm oder kalt und trocken oder feucht zugeschrieben, und als gesund galt, bei wem die vier Flüssigkeiten in ausgeglichenem Verhältnis vorkamen. Ein leichtes, noch gesundes Übergewicht eines Saftes wurde als für die
Ausprägung des Temperaments verantwortlich angesehen (cholerisch, sanguinisch, melancholisch, phlegmatisch). Krankheit begriffen die alten Mediziner also als etwas Unnatürliches. Und sie begnügten sich nicht mit der Theorie, sondern gaben den Menschen konkrete Anweisungen, wie sie gesund bleiben konnten.
Vor Beginn des raschen Erkenntniszuwachses der Naturwissenschaften um die Mitte des 19. Jahrhunderts war die Heilkunde ja auch darauf verwiesen, primär die Gesundheit zu erhalten, da sie vielen Krankheiten noch recht ahnungs- und hilflos gegenüberstand. So entwickelten die europäischen Mediziner seit der Antike immer neue Diäten („Lebensweisen“), in denen sie Vorgaben zu allem machten, womit man nach dem jeweiligen Kenntnisstand die Gesundheit eines Menschen positiv beeinflussen konnte – etwa
Schlafposition, Wohnort, Körperertüchtigung, individuelle Hygiene, Umgang mit Emotionen und natürlich Ernährung. Dabei galt noch im Mittelalter die Empfehlung, das rechte Maß zu halten: Niemand könne gänzlich gesund sein, jeder solle aber ohne Übertreibung versuchen, nach Gesundheit zu streben.
Seit Mitte des 19. Jahrhunderts wurde die Medizin zunehmend verwissenschaftlicht; bahnbrechend waren bekanntlich u.a. die Erkenntnis der Bedeutung von Desinfektion durch Ignaz Semmelweis 1847 sowie die Entdeckung des Penizillins im Jahr 1928 (Alexander Fleming). Je mehr Krankheiten aber die Ärzte heilen konnten, desto mehr geriet, nach Daniel Schäfer, die Erhaltung der Gesundheit aus ihrem Fokus. So propagierten zunehmend Laien Lehren zur Gesunderhaltung, im 19. Jh. z.B. der Pfarrer
Sebastian Kneipp. Kennzeichnend für diese eher unwissenschaftlichen Ansätze ist bis heute ihre Einseitigkeit: So beschränkt sich die auch in Europa zunehmend beliebte Harmonielehre Feng Shui auf die räumliche Umwelt des Menschen, die FKK-Anhänger schwören darauf, den nackten Körper der wohltuenden Wirkung der Sonne auszusetzen, wieder Andere treiben exzessiv Fitness, essen nur Rohkost, verzichten auf tierisches Eiweiß u.s.w.
Dabei könnten wir aus der Geschichte der Medizin, auch aus oberflächlich betrachtet völlig überholten Theorien, einiges Sinnvolle lernen. Zum Beispiel, dass Gesundheit und Krankheiten personalisiert betrachtet werden müssen: Es gibt nicht „die“ Erkältung oder „den“ Schlaganfall an sich, sondern immer nur im Zusammenhang mit dem Gesamtorganismus des Patienten, vor allem auch seinem psychischen Zustand, für den erfahrungsgemäß vielen verkopften Halbgöttern in Weiß das Gespür fehlt. Statt mit Pathogenese (also der Entstehung von Krankheiten) müssten sich Ärzte mehr mit der Erhaltung der Gesundheit („Salutogenese“) beschäftigen, anstatt den Propheten fragwürdiger Lebensweisen dieses Feld zu überlassen. Und allen Anhängern einseitiger Lehren sei der Grundsatz des Maßhaltens ans Herz gelegt – Gesundheit darf keine Ersatzreligion sein.