VON MAXIMILIAN REICHLIN
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26.12.2014 15:10
Gefährliche Heilmittel – In Deutschland werden zu oft Antibiotika verschrieben
In Deutschland werden zu viele Antibiotika verschrieben. Das belegt eine aktuelle Studie in fünf europäischen Ländern. Experten halten den übermäßigen Einsatz von Antibiotika, vor allem bei Kindern, für alarmierend, denn: Nicht immer werden die Mittel sinnvoll eingesetzt. Nebenwirkungen können dem Patienten zusätzlich schaden. Das größte Problem allerdings, sind die Keime, die Resistenzen gegen die eigentlichen „Wundermittel“ entwickeln und sich danach nicht mehr behandeln lassen. Schadet die Medizin hier unserer Gesundheit? UNI.DE hat sich umgehört.
Italien und Deutschland sind die Spitzenreiter bei der Vergabe von Antibiotika. Eine Studie, die jüngst im EU-Projekt „Aritmo“ über Nebenwirkungen verschiedener Medikamente erfolgte, belegt dies. Untersucht wurde das Verschreibungsverhalten von Ärzten in insgesamt fünf EU-Ländern, neben Deutschland und Italien auch England, Dänemark und die Niederlande. Von den untersuchten Ländern konnten nur die Niederlande einen vorbildlichen Umgang mit Antibiotika vorweisen. In allen fünf Ländern wurden jedoch die meisten Antibiotika an Kinder unter vier Jahren verschrieben. Experten bereitet diese Entwicklung Sorge.
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Es gibt verschiedenste Arten von Antibiotika. Alle haben sie gemein, dass sie als eine Art „Wundermittel“ gegen Krankheiten funktionieren, die durch einen bakteriellen Infekt ausgelöst werden. Die Studie von „
Aritmo“, an der auch Forscher des deutschen Leibniz-Instituts für Präventivforschung und Epidemiologie beteiligt waren, belegt allerdings: Oft werden Antibiotika in Deutschland zu früh verschrieben, oder Patienten deren Erkrankung nicht durch Bakterien, sondern durch Viren ausgelöst wird – gegen solche Erreger sind Antibiotika wirkungslos. Mit etwaigen Nebenwirkungen der Medikamente müssen sich die Patienten dennoch herumschlagen.
Das größte Problem sehen die Forscher allerdings in der Entstehung resistenter Keime. Werden Antibiotika zu oft eingesetzt, können dadurch Krankheitserreger entstehen, die gegen herkömmliche Antibiotika immun sind und sich kaum mehr behandeln lassen. Das kann katastrophale Folgen haben: Gesundheitsökonom Prof. Gerd Glaeske von der Universität Bremen geht davon aus, dass in deutschen Krankenhäusern pro Jahr bis zu 15.000 Menschen sterben,
weil die verabreichten Antibiotika nicht wirken. Er hält die Resistenzentwicklung, vor allem im Vergleich zu anderen EU-Ländern wie den Niederlanden, für „dramatisch.“
Das Problem verstärkt sich noch durch den unbedachten Einsatz der Medikamente in der Massentierhaltung.
Auch hier ist Deutschland Spitzenreiter. Mehr als 1.700 Tonnen Antibiotika wurden alleine im Jahr 2011 an Tiere verabreicht – rund 700 Tonnen mehr als beim Zweitplatzierten Frankreich. Forscher schließen nicht aus, dass die Mittel durch die Nahrung in den menschlichen Körper gelangen, und
wiederum Resistenzen verursachen können. Mittlerweile sind deutsche Landwirte verpflichtet, jeden Antibiotikaeinsatz zu dokumentieren und zu melden, vielen Kritikern reicht das allerdings nicht: Sie wünschen sich konkrete und konsequente Reduktionsziele, wie sie beispielsweise in den Niederlanden existieren.
Hier scheint der Umgang mit Antibiotika tatsächlich um einiges vorsichtiger zu sein. Nur rund 290 Verordnungen gab es in den Niederlanden pro 1.000 Patienten im letzten Jahr der Aritmo-Studie 2008. In Deutschland waren es etwa 560 Verordnungen, in Italien gar 960. Die Strategie der niederländischen Ärzte: Abwarten und Beobachten. Erst wenn eine Erkrankung sich hartnäckig hält, wird mit Antibiotika gearbeitet – anders in Deutschland. Hier werden oft
beim ersten Arztbesuch bereits Antibiotika verschrieben. Prof. Dr. Rudolf Leuwer, Direktor des HELIOS Klinikums in Krefeld, lobt diese Vorgehensweise: „Ich glaube tatsächlich, dass das Bewusstsein für Problemkeime und das Risiko von Resistenzen dort sehr hoch ist.“ Er wünscht sich nun Aufklärungskampagnen, um
auch in Deutschland ein solches Bewusstsein zu schaffen.