VON CLEMENS POKORNY | 06.12.2013 15:24

Bestechliche Ärzte

Menschen dienen als Versuchskaninchen für neue Präparate, Ärzte bekommen Geld dafür, dass sie bestimmte Medikamente verschreiben und ihre Patienten zu einer ganz bestimmten Apotheke schicken: Das ist Realität in Deutschland, und zwar ganz legal. Nun plant die Große Koalition ein entsprechendes Anti-Korruptionsgesetz. Doch andere Machenschaften belasten die Krankenkassen noch viel mehr: Schon 2005 gab es etwa 20.000 Verfahren wegen Betrugs gegen Mediziner – die Dunkelziffer dürfte wesentlich höher sein.

„Bei meinem Arzt gibt's koa alde Tablette... ich krieg immer nur die neueste Sache, die hat noch net amal die Apothek!“ Sagt der naive Drucker August in Georg Schramms Soloprogramm „Thomas Bernhard hätte geschossen“ (2006). Pro „Testpatient“, an dem ein Arzt oft ohne dessen Wissen neue Präparate ausprobiert, verdient ein niedergelassener Mediziner bis zu 1000 Euro. Bezahlt wird das Geld von Pharmaunternehmen. Offiziell dienen die „Anwendungsbeobachtungen“, die der Arzt anstellt, als Datenbasis für Arzneistudien. Laut Wolfgang Wodarg, Gesundheitsexperte bei der NRO Transparency International, sind alleine im Jahr 2010 insgesamt 183 solcher Studien bei der Kassenärztlichen Bundesvereinigung angemeldet worden – teilweise mit über 1000 Patienten. Da liegt der Verdacht nahe, dass die betroffenen Ärzte über viele Patienten gar keine Berichte liefern, sondern dass sie auf diese Weise dafür bezahlt werden, bestimmte Medikamente zu verschreiben.

Wenn Lobbyisten Gesetze kaufen

Doch auch für die Verschreibung bereits auf dem Markt befindlicher, teurer Präparate etwa gegen Krebs fließen dreistellige Summen pro Patient von Pharmakonzernen oder Apothekern an korrupte Ärzte. Anfang 2012 vermeldete „Der Spiegel“, dass gegen 47 Onkologen ermittelt werde, weil sie „Mietzuschüsse“ der Firma Oncosachs angenommen haben sollen; einer von ihnen soll auf diese Weise innerhalb von sechs Jahren eine halbe Million Euro eingenommen haben.

Wenn die Präparate helfen, was ist dann an dieser Praxis verwerflich?, könnte man fragen. Doch zum einen ist Bestechlichkeit nur eine Facette unmoralischer Machenschaften nicht weniger Ärzte: Den aus Abrechnungs- und andere Betrügereien entstehenden Schaden für die Versicherten beziffert das Bundeskriminalamt auf etwa 20 Milliarden Euro jährlich (!), dazu kommt noch einmal der gleiche Wert für unnötige Gerätediagnostik und Medikamente. Anstand und Recht gelten offensichtlich bei vielen Ärzten nicht viel. Zum anderen ist bei den bestechlichen Medizinern eben nicht das Wohl des Patienten, sondern der eigene Profit für die Auswahl des Präparats ausschlaggebend – das kann bedeuten, dass der Patient aufgrund des Machtmissbrauchs des Arztes seines Vertrauens nicht die optimale (medikamentöse) Therapie erhält.

Im Jahr 2012 scheiterte ein Versuch, Bestechlichkeit von Ärzten zu bestrafen, an einer Gesetzeslücke. Der zuständige Bundesgerichtshof verwies in seinem Urteil darauf, dass „korruptives Verhalten“ nicht strafbar sei und es keine sonstige Handhabe gegen korrupte Mediziner gebe. Laut § 332 Strafgesetzbuch besteht die (strafbare) Bestechlichkeit in einer Vorteilsannahme für einen „Amtsträger“ oder eine dem öffentlichen Dienst verpflichtete Person. Der Paragraph 299 StGB verbietet die Annahme eines Vorteils für „Angestellte oder Beauftragte eines geschäftlichen Betriebes“. Niedergelassene Ärzte sind aber weder im öffentlichen Dienst tätig noch „Amtsträger“ oder Beauftragte der gesetzlichen Krankenkassen. Eine Pharmareferentin wurde damit letztinstanzlich vom Vorwurf der „Bestechung im geschäftlichen Verkehr“ freigesprochen.

Die Reaktion der damaligen Opposition im Bundestag folgte prompt, aber der SPD-Entwurf eines Anti-Korruptionsgesetzes für Ärzte scheiterte schon im Gesundheitsausschuss. Anfang 2013 forderten dann etwas überraschend die Unionsparteien sowie die Krankenkassen ein solches Gesetz, das Haftstrafen bis zu drei Jahren für bestechliche Ärzte vorsehen solle. Die Verfahren der Ärztekammern und Berufsgerichte, mit denen Mediziner Fehlverhalten in ihren eigenen Reihen bis hin zum Entzug der Approbation ahnden können, könnten laut dem Präsidenten der Bundesärztekammer Frank-Ulrich Montgomery ein ausreichendes Instrument sein – doch de facto wird es kaum angewandt: 2011 wurde in Nordrhein-Westfalen keinem einzigen Mediziner von seiner Kammer die Zulassung entzogen, einige wenige kamen mit geringen Geldstrafen davon.

Immerhin verspricht das geplante Bündnis aus Union und SPD in seinem Koalitionsvertrag: „Wir werden einen neuen Straftatbestand der Bestechlichkeit und Bestechung im Gesundheitswesen im Strafgesetzbuch schaffen.“ (S. 77) Die nächsten vier Jahre werden zeigen, ob sich die Koalitionäre tatsächlich des Problems annehmen. Ohne ein Umdenken der niedergelassenen Ärzte kann Bestechlichkeit in der Realität kaum eingedämmt werden. Georg Schramms Rentner Dombrowski bilanziert denn auch im oben zitierten Programm: „Ich hab das [Betrug und Bestechlichkeit im Gesundheitswesen] immer für eine katastrophale Fehlentwicklung gehalten, weil ich immer dachte: ,Das Gesundheitswesen ist für uns da.‘ Falsch! Irgendwann bin ich darauf gestoßen: Wir sind für das Gesundheitswesen da!“ Und zitiert eine Aussage aus dem Deutschen Ärzteblatt, dem Organ der niedergelassenen Mediziner in Deutschland: „Das in unserem Gesundheitssystem erbrachte Leistungsspektrum orientiert sich primär völlig zu Recht an den wirtschaftlichen Bedürfnissen der Leistungserbringer und orientiert sich nicht an den Bedürfnissen der Leistungsnehmer“ (Hervorhebung durch die Redaktion).