VON CLEMENS POKORNY
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21.05.2012 09:33
Machtmissbrauch
Machtmissbrauch, zum Beispiel als Folge von Korruption, hat gravierende Folgen - aber selten für die Täter. Warum die Mächtigen dieser Welt selten für den Missbrauch ihres Einflusses zur Rechenschaft gezogen werden können und wie Korruption sichtbar gemacht wird.
"Macht korrumpiert, totale Macht korrumpiert total." Diese Erkenntnis des Kosmopoliten Lord Acton dürften die meisten Menschen ebenso leicht zustimmen wie es schwierig ist, sie empirisch zu belegen. Das liegt schon in begrifflichen Problemen begründet: Was verstehen wir unter Macht? Etwa, wie der Soziologe Max Weber, "jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruht." (Wirtschaft und Gesellschaft, Kap. 1, §16)? Dies ist nur eine von vielen in den wissenschaftlichen Diskurs eingebrachten Definitionen. Den Status einer Lehrmeinung kann sie nicht beanspruchen, auch deshalb nicht, weil der von ihr verwendete, christlich geprägte Begriff "Wille" heute sehr umstritten ist. In ähnlicher Weise gibt es eine Grauzone um den Korruptionsbegriff. Wo endet eine legale und legitime Einflussnahme, wo fangen Vetternwirtschaft und Bestechlichkeit an?
Lobbyismus
Beratung, Einflussnahme oder schon Korruption? Die Macht des Geldes in der Politik.
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Auch aufgrund dieser definitorischen Schwierigkeiten wurde Machtmissbrauch lange Zeit von Exekutivorganen und der Kriminologie vernachlässigt. An der traditionellen Kriminalwissenschaft wurde ab den 1960er-Jahren von den sogenannten "
Kritischen Kriminologen" ihre Täterfixierung und ihr pathologischer Verbrechensbegriff kritisiert, der im Falle von Machtmissbrauch kaum Anwendung finden kann. Denn Macht kann nur missbrauchen, wer über sie verfügt; je mehr Macht jemand hat, desto gravierender ist ihr Missbrauch. Mächtige sind aber erstens selten Einzeltäter und verfügen oft über Helfer und Helfershelfer, so dass die Täterfixierung der traditionellen Kriminologie hier ins Leere läuft. Zweitens können sie sich ihrer Verantwortung leichter entziehen als weniger Mächtige: mithilfe guter Anwälte, Korruption der Strafverfolgungsbehörden oder, im Falle von Mandatsträgern, aufgrund ihrer Immunität. Machtmissbrauch lässt sich nicht auf der Täter-, sondern auch auf der Opferseite oft nicht personalisieren und erregt daher meist weniger Aufsehen als die Tat einer einzelnen Person an einer einzelnen anderen. Wer sind die konkreten Täter, wer die konkreten Leidtragenden, wenn beispielsweise ein deutscher Chemiekonzern giftige Abfälle vor einer afrikanischen Küste verklappt? Entsprechend gering fällt die öffentliche Empörung und damit der Druck auf die Justiz aus, gerade wenn das Vergehen - wie im obigen Beispiel - weit weg von uns stattgefunden hat. Eine solche "Kriminalität der Mächtigen" wird zuweilen sogar politisch geduldet, kann manchmal besser mit einem soziologischen als mit einem legalistischen (d.h. am positiven Recht orientierten) Verbrechensbegriff beschrieben werden, lässt sich auch deshalb juristisch schwer nachweisen - und noch schwerer ahnden.
Einen Versuch, Machtmissbrauch zu messen, stellt der
Korruptionswahrnehmungsindex dar. Diese von dem Wirtschaftstheoretiker Johann Graf Lambsdorff konzipierte, internationale Rangliste wird von
Transparency International erstellt und einmal jährlich veröffentlicht. Der Korruptionswahrnehmungsindex bündelt die von verschiedenen unabhängigen Beobachtern (Personen und Organisationen) in allen Ländern der Erde gesammelten Informationen über die Bestechlichkeit von Mächtigen als "Nationenranking". 2011 schnitten die skandinavischen Länder und Neuseeland am besten ab; Deutschland findet sich auf einem guten 14. Platz wieder, während beispielsweise Italien nur auf dem 69. landet und Somalia und Nordkorea als die korruptesten Länder der Welt gelten müssen. Unbestritten zeitigt Korruption viele negative Folgen, gerade auch für die Wirtschaft eines Landes. Neben Transparenz und der Unterbindung der Kontakte zwischen Klient und Agent (d.h. zwischen Bestechendem und Bestochenem) bildet Machtkontrolle ein zentrales Instrument im Kampf gegen Korruption. So bestätigt sich indirekt die Sentenz von Lord Acton: "Macht korrumpiert, totale Macht korrumpiert total."