VON ANGELA SCHWEIZER | 02.08.2016 15:45

Moderner Kolonialismus: Die Folgen der Landnahme für die indigene Bevölkerung Tansanias

In einem gigantischen Großprojekt sollen in der Morogoro-Region im Südosten von Tansania, finanziert mit Krediten der Weltbank, Agrarflächen der Größe Italiens entstehen. Zur Aneignung des dafür benötigten Landes hat die Regierung Tansanias Schutzklauseln außer Kraft gesetzt, die die Rechte der indigenen Bevölkerung sichern. Tausende Menschen wurden bereits von ihren Wohnorten vertrieben und verloren ihre Lebensgrundlage. Involviert ist auch die Bundesregierung, die als Entwicklungshilfegeber gemeinsam mit der Weltbank dem Großprojekt zustimmte. Über das Ausmaß der weltweiten Landnahme und den aktuellen Auswirkungen im Falle Tansanias berichtet UNI.DE.


Das umstrittene Infrastrukturprojekt namens Sacgot (Southern Agricultural Corridor of Tanzania) soll nach seiner Fertigstellung zwei Millionen Menschen in Tansania ernähren und ihnen ein Leben ohne Armut ermöglichen. Beschlossen wurde es im Jahr 2010. Mithilfe eines riesigen Staudamms, dessen Bau bereits viele Dörfer der Massai und Barabaig weichen mussten, werden die Agrarplantagen bewässert und es wird Zucker und Reis angebaut. Dies soll innerhalb der nächsten 20 Jahre die Situation der Bevölkerung verbessern. Projektpartner sind internationale Großkonzerne wie beispielsweise Bayer, Unilever, Nestlé und auch Monsanto. Hilfsorganisationen wie Misereor stellen jedoch immer wieder in Frage, ob die Kleinbauern tatsächlich von internationalen Großprojekten profitieren. Sicher ist, dass sich für viele die Lage erstmal drastisch verschlimmert, da sie ihr eigenes Land verlieren.

Was passierte in Tansania bisher?

In Tansania sollen insgesamt 5.000 der Massai und Barabaig vertrieben worden sein; durch tansanische Staatskräfte kam es außerdem zu Vergewaltigungen und weiteren Menschenrechtsverletzungen bis hin zu Todesfällen. Dies geht aus Berichten der Indigenen-Organisation IWGIA sowie aus einem Misereor-Gutachten hervor. Trotzdem stimmte die Bundesregierung gemeinsam mit der Weltbank, dem weltweit größten Entwicklungshilfegeber, einem Kredit von 70 Millionen Dollar für das Projekt zu. Laut Recherchen der Süddeutschen Zeitung, des NDR und des WDR in Zusammenarbeit mit dem International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ) hat die Weltbank auf Drängen der Regierung Tansanias ebenfalls zugestimmt, die Schutzklauseln für indigene Völker für die Zeit des Projekts auszusetzen. Alle Menschen seien vor dem Gesetz sowieso gleich, deshalb bräuchte die indigene Bevölkerung keinen besonderen Schutz, so die tansanische Regierung in ihrer Stellungnahme. Als viertgrößter Geldgeber hat die Bundesregierung für Projekte der Weltbank ein Vetorecht, das sie jedoch selten nutzt. So stimmte sie auch am 10. März 2016 der Aussetzung der Schutzmaßnahmen für die indigene Bevölkerung zu. Begründung: Die tansanische Regierung habe zugesichert, Landrechte in einem alternativen Konzept zu wahren und gefährdete Gruppen zu schützen.

„Als würden wir nicht existieren“

Für die betroffenen Menschen mag das wie Hohn klingen. „Es ist, als würden wir in Tansania nicht existieren, als wäre es nicht unser Land“, so der 60-jährige Rinderhirte Salumu Kundaya Kidomwita. „Die anderen werden Investoren genannt, wir Eindringlinge.“ Offizielle der tansanischen Regierung waren bereits in seinem Dorf, um das Land zu begutachten, auf dem er mit seiner Familie lebt, und das mitten in der Morogoro-Region liegt. Als er ihnen mitteilte, dass er nicht gehen möchte, seien sie „nicht sehr mitfühlend“ gewesen, so Kidomwita.

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„Die letzten Gemeingüter verschwinden“: Ausmaß und Folgen der weltweit Landnahme

Laut dem britischen Journalisten Fred Pearce werden durch die Landnahme die letzten Gemeingüter unseres Planeten ausverkauft. Fachleute sprechen seit der Finanzkrise im Jahr 2008 sogar von einer „Finanzialiserung der Landwirtschaft“. Nicht nur die Finanzmärkte haben demnach seit der Finanzkrise den Agrarsektor entdeckt: Auch die Länder, in denen die Bevölkerung den Großteil des Einkommens für Nahrungsmittel ausgeben muss, orientierten sich nach dem starken Anstieg für Grundnahrungsmittel im Jahr 2007 und den darauffolgenden Protesten um: Sie kaufen oder pachten nun billigen und fruchtbaren Boden in anderen Ländern, um die Lebensmittelpreise im eigenen Land niedrig halten zu können. Diese Mega-Investitionen vertreiben Kleinbauern und zerstören die lokalen Sozialstrukturen. Auf der Internetseite Landmatrix.org werden Informationen gesammelt und zur Verfügung gestellt, um das weltweite Ausmaß der Landnahme zu dokumentieren. Auch UNI.DE berichtete bereits zum Thema Land Grabbing.

In den letzten 15 Jahren wurden mehr als 200 Millionen qm an private Investoren verkauft, mehr als es Ackerfläche in ganz Europa gibt. Akteure sind Regierungen, Unternehmen, Investmentfonds genauso wie der internationale Geldadel, der Land als Kapitalanlage kauft. Das Beispiel Paraguay zeigt deutlich, warum die Landnahme als „moderner Kolonialismus“ bezeichnet wird: Das Land, in dem 22 Prozent der Bevölkerung an Unterernährung leiden, ist der weltgrößte Lieferant für Soja-Bohnen, welches als Futtermittel für Kühe und Schweine in Europa und Nordamerika angebaut und exportiert wird. Zudem liegen die meisten der von der Landnahme betroffenen Länder, wie Tansania, im globalen Süden. Dazu gehören Angola, Indonesion, Kambodscha, Kenia, Laos, Madagaskar, Mali, Mongolei, Mosambik, Sambia, Sudan und Südsudan, Uganda und die Philippinen. Laut Pearce gibt es nur eine nachhaltige Lösung: Die Menschen müssen nicht vertrieben, sondern unterstützt werden, und die Landnahme muss gestoppt werden. Da die Landwirtschaft in vielen Ländern im globalen Süden die dominierende Wirtschaftsform ist, sollten dort auch Investitionen getätigt werden. In Mali beispielsweise konnten Kleinbauern ihre Erträge verdreifachen, nachdem ihnen Düngemittel zur Verfügung gestellt wurden.

Bild: "Vulture in the evening light - Massai Mara" von Ralf Κλενγελ via Flickr.com. Von UNI.DE zugeschnitten und mit ©-Hinweis versehen.
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