VON SUSANNE BREM | 08.08.2016 16:20

Mobbing: Wie tägliche Schikane die Gesundheit langfristig zerstören kann

Drei Prozent der Befragten einer Studie gibt laut der Allgemeinen Hospitalgesellschaft AHG an, am Arbeitsplatz regelmäßig Drangsalierungen zu erfahren oder dem schon regelmäßig ausgesetzt gewesen zu sein. Die Dunkelziffer dürfte weitaus höher ausfallen; Opfer von Mobbing und Schikane halten ihre Erfahrungen oft aus Schamgefühl geheim und meiden es, das Thema vor anderen anzuschneiden. Dabei wäre es anzusprechen ein erster Schritt, um dem Ganzen entgegen zu wirken oder prägende frühere Erlebnisse aufzuarbeiten. Denn für zahlreiche Mobbingopfer scheint die erlittene Gewalt in ernste Erkrankungen zu münden – psychische wie physische. Wie findet man daraus einen Ausweg?


Ob körperliche Gewalt, psychische Misshandlungen oder Schikane im Netz als Cyberbullying – Mobbing findet in vielen verschiedenen Ausprägungen und Formen statt, in beinahe jeder Altersklasse und jeder sozialen Gruppe. Oft sind vermeintlich Schwächere das Ziel von Hänseleien, Lästereien und Drangsalierungen, die sich in irgendeinem Merkmal von Anderen abheben und vielleicht nicht selbstbewusst damit umgehen. Mobbingopfer werden oft vor Mitmenschen bloßgestellt, ihre Privatsphäre wird missachtet und lächerlich gemacht, (falsche) Gerüchte über sie werden in Umlauf gebracht, verbale und körperliche Demütigungen zugefügt. Das passiert sowohl unter Kindern und Jugendlichen, oft in der Schule, als auch unter Erwachsenen am Arbeitsplatz. Hier unterscheiden Fachleute zwischen „Bossing“ und „Staffing“: Bei erstem schikaniert die Chefetage die Angestellten, bei letzterem wenden sich Mitarbeiter gegen Gleichgestellte oder Rangniedrigere.

Die Ursachen von Mobbing: Wieso andere schikanieren?

Seinen Ursprung kann Mobbing in verschiedenen Erfahrungen, Charakterzügen und Situationen der Täter haben. Neid etwa, persönliche Überlastung, Unter- oder Überforderung, Druck und Stress am Arbeitsplatz oder in der Schule, mangelnde Fürsorge im Elternhaus – wenn Menschen mit eigenen Gefühlen oder Erlebnissen im familiären Kreis nicht umgehen können, suchen sie oftmals ein Ventil über ihren Umgang mit den Menschen um sich herum, die ihren Frust, Ärger oder ihre Enttäuschung zu spüren bekommen.

Gewalt unter Jugendlichen – Wo kommt sie her und wie verhindern wir sie?

Die unmittelbaren Folgen für die Opfer liegen dabei auf der Hand: verminderte Leistungsfähigkeit, Angst- bis hin zu Panikzuständen, verringertes Selbstwertgefühl und Selbstbewusstsein, Nervosität und Erschöpfung, Schlafstörungen, manchmal Medikamenten- und Alkoholmissbrauch bis hin zu Depressionen und Selbstmordgefährdung. Für Außenstehende äußert sich all das in einem inneren Rückzug des Betroffenen, Unaufmerksamkeit, Unsicherheit oder Aggression, Misstrauen und Trennungsängste gegenüber den Schutzpersonen, denen noch vertraut wird (wie den Eltern).

Langfristige Auswirkungen von Mobbingerfahrungen

Neben den offensichtlichen, unmittelbaren Folgen, unter denen Opfer leiden, wie physische Verletzungen durch körperliche Gewalt oder Demütigungen vor Mitmenschen, haben verschiedene Studien bereits die langfristige Wirkung von Misshandlungen auf das seelische Wohlbefinden untersucht. Das BMJ Journal hat jüngst eine britische Studie veröffentlicht, der zufolge rund 30 Prozent der behandelten Depressionen ihre Ursache in früheren Mobbingerfahrungen haben könnten: Jeder Dritte hat angegeben, in seiner Kindheit über einen bestimmten Zeitraum hinweg regelmäßig drangsaliert worden zu sein. Dadurch rücken permanente Schikanen, die vor Gericht noch immer oftmals als zu geringfügig bewertet werden, um juristisch verfolgt zu werden, auf die ernstzunehmende Ebene vor, dauerhafte seelische Leiden verursachen zu können, die die Betroffenen noch Jahre später belasten und ihre Lebensqualität beeinträchtigen können. Das Magazin „Psychological Science“ veröffentlichte dazu eine Studie, dass Mobbingopfer im Erwachsenenalter sechs Mal häufiger unter schweren Krankheiten leiden oder psychische Störungen entwickeln werden, im Berufsleben unstet und unsicher sind und weniger soziale Kontakte haben als solche ohne entsprechende Erlebnisse in jüngeren Jahren.

Wie geht man mit Mobbing am besten um?

Beratungsstellen raten Betroffenen stets, ihr Schweigen so schnell wie möglich zu brechen und ihre erfahrenen Schikanen zu thematisieren. Mitwissende sollten darauf angesprochen und eine Annäherung an andere Betroffene versucht werden; außerdem ist es ratsam, sich Verbündete zu suchen und an jemanden zu wenden, der in entsprechenden Situationen handlungsfähig ist und eingreifen kann, wie z. B. ein Lehrer in der Schule oder Vorgesetzte am Arbeitsplatz.

Nicht exakt in diese Kerbe, aber in eine grundlegend ähnliche Richtung schlägt das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG), das 2006 in Kraft getreten ist. Das AGG greift nicht generell gegen Mobbing im Berufsleben, sondern bezieht sich auf bestimmte Punkte, die für Gleichstellung aller Menschen am Arbeitsplatz sorgen sollen: Alter, sexuelle Identität und ethnische Herkunft dürfen z. B. keine Rolle mehr spielen im Verteilen von Aufgaben oder bei der Bewerberauswahl, ansonsten drohen Strafzahlungen. Im AGG ist außerdem erstmals das Prinzip der Beweislastumkehr verankert: Wer diskriminiert wird, muss das nicht mehr eindeutig belegen; es ist nun ausreichend, Indizien vorzulegen, die diesen Schluss zulassen, um vor Gericht angehört zu werden. Auch wenn gesetzliche Grundlagen eine wichtige Ansage gegen Benachteiligung und Mobbing sind, liegt die Hauptverantwortung dennoch nach wie vor direkt in der Bevölkerung: Schikane und Drangsalierungen können schließlich nur stattfinden, wenn den Tätern der Raum dazu gegeben wird, möglicherweise sogar soziale Anerkennung dafür, wenn es untätige Mitwisser gibt, wenn weggeschaut wird.