VON CLEMENS POKORNY | 12.08.2016 15:39

Diskriminierung: Die herabwürdigende Unterscheidung

Diskriminierung im Sinne von Herabwürdigung und Benachteiligung erleben viele Menschen immer wieder. Weniger im allgemeinen Bewusstsein ist, dass wir alle nicht nur diskriminiert werden, sondern auch selbst einzelne unserer Mitmenschen immer wieder voreilig in geistige Schubladen stecken und aufgrund dessen anders behandeln als andere. Das ist herabwürdigend und greift bisweilen in gesetzlich garantierte Rechte der Betroffenen ein.



Diskriminierung ist Alltag in Deutschland – trotz des „Anti-Diskriminierungsgesetzes“

„Kanake“, „Schwuchtel“ oder „Quotenfrau“: Schimpfwörter und andere herabwürdigende Bezeichnungen müssen sich Menschen in Deutschland tagtäglich anhören. Ausgrenzung und Benachteiligung findet allerdings meist nicht-sprachlich statt. Einige Verbesserungen für die Lage der Betroffenen hat das Allgemeine Gleichstellungsgesetz gebracht, das im August 2006, also vor genau zehn Jahren, in Kraft trat. Es soll Diskriminierten zu ihrem Recht verhelfen. Was Diskriminierung ist, glauben wir zu wissen – doch es lohnt sich, den Begriff näher kennenzulernen.

Der kleine Unterschied

Traditionell dient das Wort als Fachbegriff für eine rechtlich oder moralisch unzulässige Benachteiligung oder Herabwürdigung. Doch das zugrundeliegende lateinische Substantiv discrimen meint eigentlich nur „Unterschied“. Wer diskriminiert, handelt also gegenüber der oder den betroffenen Person(en) anders als gegenüber einer bzw. mehreren anderen Person(en) in einer vergleichbaren Situation. Dass wir mit verschiedenen Menschen unterschiedlich umgehen, ist zunächst nichts Verwerfliches – schließlich sind wir alle ja Individuen und keineswegs gleich. Zumindest in der abendländischen Tradition aber und in der nicht zuletzt daraus erwachsenen Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, die für das gesamte Gebiet der Vereinten Nationen gilt, ist festgeschrieben: Alle Menschen sind gleich an Würde und Rechten. Werden Würde oder Rechte verletzt, spricht man daher von (negativer) Diskriminierung. Wer dagegen in den Genuss einer ungerechtfertigten Bevorzugung kommt, wird positiv diskriminiert.

Beispiel: Diskriminierung Homosexueller

In der gesellschaftlichen Wirklichkeit wird der Begriff meist im Sinne von „negative Diskriminierung“ gebraucht und zwar auf Angehörige sozialer Gruppen bezogen. Ein typisches Beispiel sind Homosexuelle: Neben den eingangs erwähnten beleidigenden Bezeichnungen verbat § 175 des Strafgesetzbuches sexuelle Handlungen zwischen Männern – bis 1994. Dass nicht einmal 25 Jahre später diese Diskriminierung noch in vielen Köpfen steckt, kann nicht verwundern. Bis heute dürfen Homosexuelle in Deutschland, anders als in immer mehr Staaten der Erde, keine Ehen untereinander schließen. Diskriminiert werden sie – zu nach eigenen Angaben 48 Prozent (!) im Jahr 2012 – von ihren Mitmenschen vor allem in ländlichen Regionen sowie in großen, männerdominierten Unternehmen, wo ein Outing ein Karrierehemmnis bedeuten würde und die meisten Homosexuellen daher ihre sexuelle Identität verschweigen. Die Kieler Psychologin Anne Bachmann berichtet in einer Studie, dass die verschiedenen Formen von Herabwürdigung für gleichgeschlechtlich lebende Menschen hierzulande ihre Lebensqualität so massiv beeinträchtigt, dass diese deutlich häufiger von psychischen Krankheiten betroffen sind als Heterosexuelle mit vergleichbaren Biographien.

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Ursachen von Diskriminierung

Anderen diskriminierten sozialen Gruppen geht es ähnlich. Psychologin Bachmann weiß, dass meist nicht Bosheit oder Machtgehabe hinter Diskriminierung steckt: „Oft liegen Diskriminierungen Prozesse der Identitätsfindung zugrunde. Es ist ein zutiefst menschlicher Prozess, sich in Gruppen zu kategorisieren und die eigene Gruppierung von anderen abzuheben. Die anderen werden dann häufig als Bedrohung wahrgenommen.“ Da alle Menschen Prozesse der Identitätsfindung durchlaufen, werden wir alle früher oder später einmal Opfer von Diskriminierung – und diskriminieren erfahrungsgemäß auch alle selbst einmal, meistens sogar wiederholt, wenn auch nicht immer absichtlich, sondern aus Gedankenlosigkeit.

Juristische Handhabe

Strafbar macht man sich damit eher selten. Das Allgemeine Gleichstellungsgesetz soll zwar Benachteiligung „aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität“ verhindern und beseitigen. Doch es findet nur in bestimmten Bereichen Anwendung, v.a. in der Arbeitswelt, der Bildung, in sozialen und sonstigen für die Allgemeinheit bestimmten Diensten (z.B. Wohnungen). Zwar muss ein wegen Diskriminierung Beklagter nachweisen, dass er nicht diskriminiert hat, d.h. die Beweislast liegt hier seit 2006 nicht mehr beim Geschädigten. Doch in vielen Fällen dürfte eine Anzeige keinen Erfolg haben. Eine Firma auf der Suche nach einem neuen Mitarbeiter (m/w) lädt z.B. einen Dunkelhäutigen einfach gar nicht erst zum Vorstellungsgespräch ein, etwa mit Verweis auf ein Überangebot an Bewerbungen, sodass sie hinterher nicht in Erklärungsnot kommen kann, warum jemand anders eingestellt wurde. Dies erlebte der Literaturwissenschaftler Ethan Sebastian, der 20 Unternehmen, die ihn abgelehnt hatten, erneut mit dem gleichen Lebenslauf anschrieb – aber mit einem falschen Bewerbungsphoto, nämlich dem eines hellhäutigen Mannes. 17 der 20 Firmen luden ihn daraufhin zum Vorstellungsgespräch ein.

Was tun?

Solcherlei Benachteiligungen resultieren meist aus Vorurteilen oder eben Identitätsfindungsprozessen. Psychologin Bachmann empfiehlt Homosexuellen, zur Beseitigung ihres Diskriminiert-Werdens offen mit ihrer vom Mainstream abweichenden sexuellen Identität umzugehen. Fremdes kann nur als bedrohlich empfunden werden, solange es fremd ist. Dialog hilft, Vorurteile und damit Diskriminierung abzubauen. Dem eigenen Diskriminieren beugt Sensibilität vor. Eine hellhäutige Person, die sich in eine dunkelhäutige hineinversetzt und sich über die Geschichte des Begriffes „Neger“ informiert, wird dieses Wort nicht mehr in den Mund nehmen, auch wenn es übersetzt scheinbar wertneutral „Schwarzer“ bedeutet. Warum müssen wir denn auch – von polizeilicher Ermittlungsarbeit in gewissem Maße abgesehen – andere Menschen nach Äußerlichkeiten kategorisieren? Wer nicht nachvollziehen kann, dass „Schlitzaugen“ für Ostasiaten ein diskriminierendes Schimpfwort ist, sollte sich fragen, ob er deren Begriff „Großnasen“ für Europäer mit Humor nimmt – oder sich auf ein äußeres Merkmal reduziert fühlt, das ihn seiner Individualität beraubt.