VON SUSANNE BREM
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26.08.2016 11:05
Deutscher Ethikrat: mit vielfältigen Meinungsbildern aus der Wissenschaft zu einer Ethik der Achtung und Menschlichkeit
In seiner jüngsten Stellungnahme äußerte sich der Deutsche Ethikrat zur Entscheidungspolitik in Krankenhäusern: In Wertschätzung und Achtung des Menschenlebens solle dieses auch als Maßstab für das Behandlungsvorgehen gelten. Damit hat der Deutsche Ethikrat erneut eine Empfehlung zu ethischem Handeln vorgelegt. Wichtige Grundlage auch hierbei wieder: das plurale Meinungsspektrum, das die Mitglieder abdecken. Sie diskutieren über lebenswissenschaftliche Themen in ethischem Zusammenhang; diese Diskussionen und dabei entstehende Positionen sind der Öffentlichkeit anschließend zugänglich. Wissenschaftliche Erkenntnisse und fächerübergreifende Sichtweisen darauf sollen so zur Information in die Gesellschaft getragen und der Politik als Expertise zur Verfügung gestellt werden. Der Ethikrat: ein Gremium zur Förderung der pluralistischen Meinungsbildung.
Die Wurzeln des Deutschen Ethikrats
Dass der Deutsche Ethikrat 2008 aus der Taufe gehoben wurde, geht auf seinen stark kritisierten Vorläufer zurück, den „Nationalen Ethikrat“ (gegr. 2001); gegen ihn war der Vorwurf laut, der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder bzw. die rot-grüne Regierung hätte die Mitglieder der Kommission seinen eigenen politischen Zielen entsprechend berufen, damit jene der liberalen Politik als „scheinbar“ unabhängiges Gremium den Weg ebnen würden. Aus diesem Grund löste 2008 der Deutsche Ethikrat den Nationalen ab; in Abgrenzung zum Vorgänger wurde ihm dazu eine gesetzliche Basis gegeben (das Gesetz zur Einrichtung des Deutschen Ethikrats, EthRG, 01.08.07) und eine stärkere Unabhängigkeit von Bundestag und Regierung festgelegt, um einem dahingehenden Vorwurf entgegenzuwirken.
Kompetenzen und Aufgabenfelder
Im Deutschen Ethikrat beraten für je vier Jahre 26 Mitglieder aus unterschiedlichen Disziplinen der Wissenschaft (Medizin, Philosophie, Recht, Chemie, Theologie etc.), wodurch ein multidisziplinärer Erörterungsrahmen ermöglicht und ein „plurales Meinungsspektrum“ im Rat (EthRG §4, Abs. 2) gesichert werden sollen. Mitglieder qualifizieren sich durch hohe Expertise auf ihrem Fachgebiet, der Präsident des Bundestages beruft sie auf Vorschläge von Bundestag und Bundesregierung hin. Die Kommission diskutiert lebenswissenschaftliche Themen aus allen Bereichen, die den Mensch mittelbar und unmittelbar berühren, wie den Naturwissenschaften, Medizin und Recht. Sie erörtert in ihren Debatten dabei insbesondere, wie und wie weit wissenschaftliche Entwicklungen in die Gesellschaft hineinreichen, was das für den Mensch bedeutet und wie damit umgegangen werden kann. Gesetztes Ziel des Deutschen Ethikrats ist es, Zusammenhänge zwischen zum Beispiel medizinischer Forschung am Menschen und den Folgen davon für Individuum und Gesellschaft aufzuschlüsseln, zu erörtern und die Gesellschaft über die Ergebnisse und Standpunkte dazu zu informieren (EthRG § 2, Abs. 1). Der Deutsche Ethikrat richtet daher pflichtmäßig Veranstaltungen aus, in denen auch Ottonormalverbraucher dem Diskurs direkt beiwohnen und aktiv daran teilnehmen können (Forum Bioehtik). Eine Bewusstseinsschärfung in der Bevölkerung soll so gefördert werden. Zwei weitere Säulen des Aufgabenprofils sind die regelmäßige Zusammenarbeit mit Ethikräten anderer Nationen und die jährliche Berichterstattung der Tätigkeiten an Bundestag und -regierung. Dieser Bericht enthält, auf Basis der wissenschaftlichen Kompetenz der Ratsmitglieder, auch Einschätzungen und Empfehlungen zur gesetzlichen und politischen Handhabung der behandelten Themen.
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Bindeglied oder doch Volksferne?
Problematisch bleibt, dass das Gremium als Nahtstelle zwischen Staat und Gesellschaft von promovierten Fachleuten dominiert wird, auch wenn gleichermaßen Mitglieder vorgeschrieben sind, die nicht zwingend im wissenschaftlichen Betrieb arbeiten (EthRG §4, Abs. 1). Die Gefahr ist dabei, dass der Diskurs ein „abgehobener“, wissenschaftlicher bleibt und damit gewissermaßen doch fern von der Gesellschaftsmitte und der durchschnittlichen Bevölkerung. Kritik kam auch schon 2008 aus den Reihen des parlamentarischen Ethikrates, der seine eigenen „
eingeschränkten Kompetenzen“ nachteilig sieht: Zur Sicherung der Unabhängigkeit des Deutschen Ethikrates dürfen dessen Mitglieder nicht zusätzlich Teil von Parlament und Regierung sein (EthRG §4, Abs. 3); der Ausschluss aus den ethischen Diskussionen der Kommission produziere laut einigen Abgeortneten aber ein Defizit für deren inhaltliche Arbeit im Parlament.
Aktuelle Diskussion: Trisomie-21-Test als freie Pauschaluntersuchung?
Derzeit steht die
Überlegung im Raum, den Trisomie 21-Bluttest als reguläre Krankenkassenleistung jeder Schwangeren kostenfrei zuzugestehen. Damit verbunden ist die Fragestellung, wie die Menschen mit dem potentiellen Wissen umgehen, ein Kind mit Behinderung großziehen zu werden – und auch, wie es in der Gesellschaft aufgenommen und sich dort zurecht finden wird. „Wir leben in einer wertepluralen Gesellschaft“, sagt
Peter Dabrock, derzeitiger Vorsitz des Deutschen Ethikrates. Er verweist damit auf die generelle Bedeutung von Meinungsvielfalt, aber auch auf den Wert des einzelnen Menschen: Welchen Wert erkennen Menschen für andere an, die nicht den Normalvorstellungen von Gesundheit oder Aussehen entsprechen? Wie zuträglich ist es dem Vorhaben, den menschlichen Wert als gleichverteilt und gleichbleibend, unantastbar zu betonen, wenn man Menschen kostenfrei die Möglichkeit gibt, Unerwünschtes vorab auszusortieren und zu eliminieren – auch wenn es sich um ein Menschenleben handelt? Der Ethikrat steht als Gremium selbst für ein möglichst breites Meinungsspektrum und möchte die Komplexität und Notwendigkeit von pluralen Meinungen respektieren und in die Gesellschaft tragen. Darin liegt der Kern seiner Aufgabe: die vielschichtigen Positionen zu schwierigen Fragestellungen und ihre Effekte zu erörtern, die sie auf die Bildung und Akzeptanz von Vielfalt und heterogenen Weltbildern haben.