VON MAximilian Reichlin | 12.01.2015 14:25

Wer hat Angst vor'm Asylanten? - Der Artikel, der mutig sein will

Mein Mitbewohner diskutiert nicht oft mit mir über tiefschürfende Themen wie Religion oder Politik. Nicht, weil er dazu keine Meinung hätte, sondern viel mehr, weil unsere Meinungen oft so weit auseinander gehen, dass wir uns regelmäßig in die Haare bekommen. Ich hätte Pegida einfach nicht ansprechen dürfen. Zwar ist mein Mitbewohner kein Fan der Dresdener Montagsdemonstranten und marschiert auch nicht auf den Demos mit, er behauptet aber, dass die Gruppe einige vertretbare Argumente hat.

Er berührt damit ein wichtiges Thema. Es lässt sich nicht bestreiten: Jedes Jahr kommen mehr Asylsuchende zu uns nach Deutschland, aus Krisen- und Kriegsgebieten in Osteuropa, Afrika oder dem Nahen Osten. Viele davon sind Muslime. Das stellt uns als Nation selbstverständlich vor Herausforderungen und Probleme. Wie können diese Personen integriert werden, wo sie doch aus Kulturkreisen stammen, die unserem so unähnlich sind? Können wir friedlich koexistieren, wenn unsere Meinungen so weit auseinander gehen? Oder müssen wir die Grenzen dicht machen?

Xenophobie

Mein Mitbewohner ist zumindest in Teilen dieser Meinung. Er hat Angst. Wovor, das kann er selbst nicht genau benennen, aber es werden wohl die üblichen Ängste sein: Angst vor höheren Steuern, Angst vor Arbeitslosigkeit, Angst vor Fundamentalisten und Kriminellen im eigenen Land oder einfach nur Angst vor „Islamisierung.“ Es sind diese Ängste, die er mit Pegida und mit einem nicht eben kleinen Teil der deutschen Bevölkerung teilt. Natürlich habe auch ich Angst. Immerhin, diese Asylsuchenden, das sind Fremde. Sie sprechen andere Sprachen als wir, haben andere Vorstellungen und Meinungen, kommen aus einem ganz anderen kulturellen Umfeld. Die Angst vor dem Fremden ist uns Menschen nun einmal angeboren. Ich glaube allerdings, dass wir uns vor dieser Angst nicht davon abhalten lassen sollten, eine Gesellschaft aufzubauen, die auf friedliche Koexistenz und fruchtbaren Austausch setzt, anstatt auf Ausgrenzung und gegenseitiges Misstrauen.

Das gelingt mir auch nicht immer. Manchmal, wenn ich irgendwo in gebrochenem Deutsch bedient werde, oder ein Ausländer mein Taxi steuert, frage ich mich, welcher Deutsche da wohl seinen Job verloren hat, weil ein Asylbwerber ihn für weniger Geld macht. Aber dann erinnere ich mich daran, dass in Deutschland Fachkräftemangel herrscht, und versuche dem Wutbürger in mir klar zu machen, dass es diesen Deutschen wahrscheinlich überhaupt nicht gibt. Bevor Flüchtlinge in Berufszweige wie die Kranken- und Altenpflege eingestiegen sind, hat diese Jobs wohl einfach niemand gemacht.

Und die verschriene „Islamisierung“, gegen die die Demonstranten von Pegida so gerne vorgehen würden, halte ich für ausgemachten Blödsinn. Immerhin, diese Asylsuchenden kommen nicht ohne Grund aus Gebieten zu uns, in denen der Islam tatsächlich Macht und Einfluss hat, Kriege ausbrechen zu lassen und Terror zu verursachen. Sie werden einen Teufel tun, und ein solches kulturelles Umfeld auch noch mitzubringen. Sie wollen doch unsere Kultur, unsere Gesellschaft, unser Rechtssystem. Warum sollten sie uns islamisieren? Damit hinterher alles genauso ist, wie in der Heimat, aus der sie geflohen sind?

In der Theorie klingen meine Argumente alle sehr gut, gegen die Angst meines Mitbewohners kommen sie allerdings nicht an, und so geschieht, was ich vorausgesehen habe. Wir streiten uns. Wir haben unterschiedliche Ansichten und können die Meinung des Anderen nicht in unser Weltbild integrieren. Im Grunde findet hier die gesamte Asylproblematik im Kleinen statt: Fremdes Gedankengut kann nicht angenommen werden und muss deswegen draußen bleiben. Es ist mir ein Trost, zu wissen, dass mein Mitbewohner und ich wahrscheinlich schon in fünf Minuten wieder Freunde sein und zusammen auf der Couch gemütlich ein Bier trinken werden, ohne weiter über das Thema zu sprechen. Es macht mir allerdings Angst, zu wissen, dass es so einfach nicht mit den rund 250.000 Asylsuchenden funktionieren wird, die 2015 bei uns erwartet werden.