VON MAXIMILIAN REICHLIN | 24.09.2016 12:53

Tunesien, Marokko, Algerien – Wie sicher sind die Sicheren Herkunftsstaaten?

Sichere Herkunftsstaaten sind nach deutschem Asylrecht Länder, in denen keine politische Verfolgung stattfindet, und die daher als „sicher“ gelten. Asylsuchende aus solche Staaten haben daher in Deutschland kaum Chancen, aufgenommen zu werden. Aktuell laufen im Bundesrat Debatten, auch die nordafrikanischen Länder Algerien, Tunesien und Marokko auf die Liste der sicheren Herkunftsstaaten zu setzen. Die Koalition will mit diesem Vorgehen vor allem Flüchtlingsströme ausdünnen, die Grünen werfen CDU und SPD derweil eine Blendkampagne vor. Man wolle lediglich Handlungsbereitschaft signalisieren. UNI.DE über die Diskussion.


Harte Debatten im Bundesrat: Noch immer pochen CDU und SPD darauf, die Liste der sicheren Herkunftsstaaten (SHS) um die sogenannten Maghreb-Staaten Algerien, Tunesien und Marokko zu erweitern. Eine solche Entscheidung würde Asylsuchenden aus diesen Ländern die Antragsstellung in Deutschland extrem erschweren. Politisches Asyl wird nur denjenigen gewährt, die in ihrem Heimatland tatsächlich politisch verfolgt werden – was, so die Ansicht der Koalition, für die Maghreb-Staaten nicht zutrifft. Partiell gelte sogar Afghanistan als sicherer Herkunftsstaat, obwohl das Land vor dem Ausbruch des Krieges in Syrien die meisten Flüchtlinge für Deutschland hervorgebracht hatte.

Sichere Herkunftsstaaten trotz unsicherer Verhältnisse?

Die Lage in den betroffenen Ländern ist selten so „sicher“, wie sie im Bundesrat gerne gezeichnet wird. Weder in Afghanistan, das in Teilen bereits seit Monaten als inoffizielles SHS gehandelt wird, obwohl die Hauptstadt Kabul erst Anfang des Monats wieder das Opfer mehrerer Terroranschläge wurde, noch in Tunesien, Algerien oder Marokko. In letzterem dürften vor allem Lesben und Schwule als verfolgte Minderheit gelten, da hier Homosexualität bei Strafe verboten ist. Und über Algerien wisse man schlicht und ergreifend zu wenig, um eine Aussage treffen zu können, so die Afrika-Expertin Isabelle Werenfels von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Schon seit zehn Jahren sei es Menschenrechtsorganisationen nicht mehr möglich, in Algerien einzureisen, um die Lage zu prüfen.

Dennoch bleibt der Kurs der Koalition hart: Wo keine unmittelbare politische Verfolgung droht, dort sei es „sicher“. 2014 und 2015 hatten CDU und SPD mit Unterstützung der Grünen bereits die sechs Balkanstaaten Bosnien-Herzegowina, Mazedonien, Serbien, Montenegro, Albanien und Kosovo zu sicheren Herkunftsstaaten erklärt. Nun sollen Tunesien, Algerien und Marokko folgen. Diesmal jedoch ohne die Hilfe der Grünen, die in der Diskussion eine Symboldebatte sehen. Die Maghreb-Staaten stünden nur deshalb auf der Liste der potentiell sicheren Herkunftsstaaten, weil die Bundesregierung nach der Silvesternacht 2015 Handlungsbereitschaft demonstrieren wolle, so Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt.

Was eine Erweiterung der Liste für Asylsuchende bedeuten würde

Für Asylsuchende aus den drei diskutierten Ländern hätte es weitreichende Folgen, nun plötzlich aus einem offiziell sicheren Herkunftsstaat zu stammen: Da diese Gebiete als sicher gelten, besteht für deutsche Behörden keine Veranlassung, von Verfolgung auszugehen. Solche Asylanträge werden dann innerhalb von wenigen Wochen im Schnellverfahren entschieden und enden in der Regel mit einer Ablehnung. Die Antragsstellenden dürfen in dieser Zeit weder auf Jobsuche gehen, noch die ihnen zugewiesenen Unterkünfte verlassen – und haben selten ausreichend Zeit, sich über ihre Rechte aufzuklären, was eine Abschiebung zusätzlich vereinfacht.

Menschenrechte in Europa

Zwar wird im Asylverfahren auch bei Asylsuchenden aus sicheren Herkunftstaaten jeder Fall einzeln entschieden. Doch bei Flüchtlingen aus SHS gilt die umgekehrte Beweislast: Kann der oder die jeweilige Asylsuchende nicht beweisen, dass er oder sie zu einer Gruppe gehört, die im Herkunftsstaat politisch verfolgt wird, ist der Antrag so gut wie abgelehnt. Das könnte vor allem homosexuellen Flüchtenden aus Marokko die Chancen auf Asyl verderben, fürchtet Klaus Jetz vom Lesben- und Schwulenverband in Deutschland. In einer homophoben Umgebung aufgewachsen, seien diese Asylsuchenden nun gezwungen, sich vor den Behörden zu outen, um überhaupt eine Chance auf Asyl zu erhalten, was die wenigsten Marokkanerinnen und Marokkaner tun würden.

Die CDU will das Asylgesetz aushöhlen – Die Grünen weigern sich

Weitere Länder zu sicheren Herkunftsstaaten zu erklären, soll wohl in erster Linie dazu dienen, potentielle Asylsuchende abzuschrecken. Sachsens Ministerpräsident Stanislav Tillich (CDU) erklärt: „Jeder weiß, dass gerade die sicheren Herkunftsländer maßgeblich dazu beigetragen haben, dass der Flüchtlingszustrom aus den Balkanstaaten deutlich zurückgegangen ist.“ Ein ähnliches Ergebnis erhofft sich Tillich nun von der Deklarierung der nordafrikanischen Länder als SHS: „Mit einer Einstufung als sicherer Herkunftsstaat hätten wir dann ein Ergebnis erreicht, dass es gar keinen Sinn mehr macht, nach Europa aufzubrechen. Und das wollen wir erreichen.“

Ob die Erweiterung der Liste der sicheren Herkunftsstaaten tatsächlich zustanden kommen wird, ist aktuell fraglich. Noch sind die Grünen das sprichwörtliche Zünglein an der Waage. Die Koalition braucht im Bundesrat die Unterstützung von mindestens drei Bundesländern mit grüner Beteiligung, um ihr Vorhaben in die Tat umsetzen zu können. Die Grünen Landesvertretungen haben den Plan jedoch bereits geschlossen abgelehnt – mit Ausnahme von Baden-Württemberg. Bleibt es dabei, wird die Erweiterung der SHS-Liste nicht zustande kommen.