VON LISI WASMER
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28.02.2014 13:25
Sag mir, was du hörst und ich sag dir, wer du bist
Ein Ratespiel: Vor einem Tisch stehen zwei Männer. Der eine ist Mitte Fünfzig, trägt einen Anzug, teure Schuhe, einen sportlichen Haarschnitt. Der andere (circa fünfundzwanzig) trägt Jeans, ein schwarzes T-Shirt, Turnschuhe. Wo der erste glatt rasiert ist, punktet der zweite mit einem Bart bis zum Bauchnabel. Seine Haare sind hüftlang und zugegebenermaßen leicht fettig. Auf dem Tisch liegen zwei CDs: Die eine ist von Megadeth, die andere von Vivaldi. Wer hört welche Musik? Die Zuordnung fällt uns sehr leicht. Klassik passt zu älteren Herren, die tagsüber ihrem langweiligen Bürojob nachgehen und zum Abendessen Rotwein mit Mozart servieren. Für Metalmusik braucht man zwar nicht unbedingt ein bestimmtes Alter, aber zumindest eine ordentliche Mähne, damit beim Headbangen auch was geboten ist. Aber wir verknüpfen Musik nicht nur mit dem Aussehen von Personen, sondern auch mit ihrem Verhalten, ihrem Umfeld und insgesamt mit ihrem Lebensstil.
Die Frage, was zuerst da war, die Musik oder die Lebenseinstellung, ist ein typisches Huhn-Ei-Theorem. Die einen sagen, aus dem gemeinsamen Gefallen an Musik entstanden Gruppierungen, die von einfacher Fangemeinschaft bis hin zu politisierter Massenbewegung reichen, wie das zum Beispiel in den späten 60er Jahren der Fall war. Die anderen sind davon überzeugt, dass sich erst aus diesen Gruppierungen heraus Musiker einer bestimmten Stilrichtung etablieren konnten. Was auch immer der Wahrheit näher kommt, Fakt ist, dass fast allen Subkulturen eine spezifische Musikrichtung zugeordnet werden kann. Raver hören Techno, Skins mögen Pogo, 1968 waren Protestsongs ganz groß und Gangster rappen zu Hiphop-Beats.
Musik und Identität
„Grenzerfahrung“ – Ein Blick hinter die Kulissen
Von Grenzen in uns, um uns und darüber hinaus
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Musik scheint also fast immer einen Beitrag zur Identifikation eines Menschen mit einer bestimmten Personengruppe zu machen. Genauso scheinen wir uns über den Musikgeschmack hinaus auch ein weitreichenderes Bild von unserem Gegenüber zu machen, je nachdem, welche Musikrichtung er bevorzugt – wir extrapolieren ausgehend von seinen musikalischen Neigungen weitere Vorlieben, Charaktereigenschaften, sogar ganze Lebensstile. Soll heißen: Jemanden, der gerne Klassik hört, erwarten wir nicht auf der Loveparade. Es überrascht uns, wenn ein Hardrocker im Alltag ein Verhalten wie Freiherr Adolph Knigge an den Tag legt. Und wir halten es für unwahrscheinlich, dass ein Heavy Metal Fan am Wochenende im Teehaus sitzt und Gala liest.
Natürlich sind längst nicht alle Klassik-Hörer Spießer, es gibt auch höfliche Rocker und Metal wird nicht nur von langhaarigen, ungeduschten „Naturburschen“ verehrt. Trotzdem haben wir zu jeder Musikrichtung sofort ein Bild des typischen Anhängers im Kopf. Denn ebenso wie über Kleidung kann man sich eben auch über einen bestimmten Musikgeschmack in eine Personengruppe integrieren. Dabei geht es gerade im Fall von Musik um die Ausbildung einer eigenen Identität. Sie erzeuge „ein Vergnügen der Identifikation – mit der Musik, [...] mit den Künstlern, [...] mit allen Gleichgesinnten“, zitiert
Martin Tröndle den ehemaligen Rockkritiker und Soziologen Simon Frith.
Musik und Alter
Ein interessanter Aspekt ist hierbei, dass sich für jeden Menschen scheinbar relativ früh im Leben entscheidet, welche Musik er auch später noch gut finden wird. Tröndle spricht von der Identitätskonstruktion, welche auch in späteren Jahren kaum noch Plastizität besäße. Heißt das, dass wir musikalisch gesehen viel mehr Produkte unserer Erziehung sind? Das wäre insofern ein Problem, da wir doch gerade unseren Musikgeschmack gewissermaßen als Charakterzug empfinden, den wir uns selbst angeeignet haben und der wesentlich mit Teil dessen ist, was uns tatsächlich ausmacht.
Glaubt man den Autoren des
Reflecta, besteht hier aber kein Grund zur Sorge. Die Veranstalter des Filmfestivals haben sich mit dem Thema „Identität und Subkulturen“ auseinandergesetzt und glauben, dass die Zugehörigkeit zu einzelnen Gruppen durchaus keinen Bund fürs Leben bedeuten muss: „Die meisten Jugendlichen durchlaufen in der Phase des Heranwachsens mehrere Subkulturen“, heißt es auf ihrer Website.
Musik. Und weiter?
Bleibt die Frage: Warum verbinden wir überhaupt bestimmte Musikstile mit verschiedenen Subkulturen? Hier könnte man wieder auf die Huhn-Ei-Thematik zu sprechen kommen: Wenn die Subkulturen tatsächlich aufgrund musikgeschmacklicher Gemeinsamkeiten entstanden sind, ist die Frage obsolet. Wenn sich aber vielmehr für jede bestimmte Personengruppe ein spezieller Musikstil etabliert hat, stellt sich die Frage, warum gerade dieses Merkmal so auffällig charakterisierend für einzelne Gruppierungen steht.
Eine mögliche Erklärung wäre schlicht die Funktion von Musikstilen als Differenzierungsmerkmal. Subkulturen bestehen immer aus einem „wir“, aber gleichzeitig sehr stark auch aus einem „die anderen“. Wollten sich die Hippies noch gegen die Spießigkeit ihrer Vorgängergenerationen abgrenzen, werden die Grenzen heute noch viel deutlicher zwischen den einzelnen Gruppierungen gezogen, bis hin zu tatsächlichen
Auseinandersetzungen der einzelnen Subkulturen untereinander. Ein anderer Grund mag die besondere Eigenschaft von Musik als emotiver Informationskanal sein: Neben den Inhalten vermittelt Musik darüber hinaus Gefühle und Stimmungen, für die einzelne Personen je nach Charakter eine gewisse Vorliebe entwickeln können. Das kann auch auf die internationale Ebene übertragen werden – man vergleich zum Beispiel den wehmütigen, portugiesischen Fado mit der heiteren deutschen Blasmusik.
Was allen Parteien gemeinsam ist, ob nun Einzelpersonen, Subkulturen oder ganze Länder: In jedem Fall wird Musik als Ausdrucksmittel eigener Persönlichkeit genutzt. Denn so universal Musik als Sprache auch sein mag, so partikularisierend wirkt sie auch durch ihren Beitrag zur Identifikation mit einzelnen Gruppierungen.