VON MAXIMILIAN REICHLIN | 12.02.2014 15:22

Hingehört im Alltag – Der Tag eines Studenten in Tönen

Piep, piep, piep. Der Wecker klingelt. Viel zu früh. Die Schlummer-Funktion existiert nicht ohne Grund. Klick. Noch einmal fünf Minuten dösen. Dabei dem Regen zuhören, der gegen die Scheibe tropft. Prassel, prassel, prassel. Dann wieder: Piep, piep, piep. Schon wieder der Wecker. Na klar, ich muss aufstehen. Seminar um 10 Uhr. Na schön. Bettdecke zurückschlagen, aufstehen, dann ins Badezimmer. Nackte Füße auf kaltem Boden. Tapp, tapp, tapp. Zähneputzen. Schrubb, schrubb. Zurück ins Zimmer, anziehen. Blick auf die Uhr. Verdammt, viel zu spät dran.


Ein Ton, der heute leider ausfallen muss, ist das Brutzeln von Speck und Eiern in der Pfanne. Stattdessen: Haustür auf, Klick, Haustür zu, Bumm. Auf zum Bus. Auf dem Weg Musik hören: Hip-Hop, harte Bässe, perfekt für müde Tage. Bumm, bumm, bumm. An der Grundschule vorbei, Pausenglocke (Ding-dong), lärmende Kinder. „Fang mich doch, fang mich doch!“ Würde ich gerne. Denke wehmütig an die Schulzeit. Drehe die Musik lauter. BUMM, BUMM, BUMM. Komme an die Bushaltestelle, irgendwo klingelt ein Handy – ring, ring. Automatischer Griff zur Hosentasche. Meines ist es nicht. Ein anderer Sound macht mir im Moment allerdings viel mehr Sorgen. Wrumm, wrumm, wruuuuuuum. Der Bus fährt an. Ich renne, schreie: „HEY!“ Doch zu spät. Der Bus fährt ohne mich ab. Ich seufze.

Zeit, ein moderner Sklaventreiber

Später: Sitze endlich in der U-Bahn. Leise Gespräche im Hintergrund. Will die Musik noch lauter drehen, doch – piep – der Akku versagt. Kein Hip-Hop mehr für mich. Ein Handy klingelt. Automatischer Griff zur Hosentasche – schon wieder nicht meines. Neben mir spielt jemand irgendetwas auf seinem Smartphone. Tipp, tipp, tipp, ding, ding, ding, irgendetwas explodiert. Blödes Spiel. Könnte er auch leiser stellen. Gespräche im Hintergrund nun lauter: Bla, bla, bla, Arbeitslose, bla, bla, bla, Mittagspause, bla, bla, bla, Meeting um 13 Uhr. Die U-Bahn stoppt. Quiiiiiietsch. Die Türen gehen auf. Tssssch. Mehr Gespräche steigen ein. Bla, bla, bla, im Club gestern Abend, bla, bla, bla, Shoppen gehen, bla, bla, bla, Seminar um 10. Werde hellhörig. Aber: nicht mein Seminar. Schließe die Augen. Türen gehen zu. Tssssch. U-Bahn fährt an. Wruuuuuuum.

Vor der Uni. Hab es noch rechtzeitig geschafft. Noch schnell eine Zigarette, bevor es los geht. Feuerzeug: Klick, zfffff. Um mich herum: Gesprächsfetzen. Bla, bla, bla, unfairer Dozent, bla, bla, bla, Uni-Party am Wochenende, bla, bla, bla, der Wert von Nietzsches Philosophie für die Kultur der westlichen Welt. Worüber sich Studenten oft unterhalten. Würde lieber wieder Musik hören. Einer kommt auf mich zu. „Hey, kann ich mal Feuer haben?“ Gebe ihm Feuer. Klick, zffffff. Der nächste kommt. „Hey, hast du vielleicht eine Zigarette für mich?“ Gebe ihm eine Zigarette. Denke: Rauchen könnt ihr aber alle selber? Werfe die Zigarette weg und gehe nach drinnen.

Seminar. Wie immer viel zu voll. Dozent ist noch nicht da. Gespräche um mich herum, das Übliche. Bla, bla, bla. Wieder Regen an der Scheibe. Prassel, prassel. Dozent kommt rein, Gespräche verstummen. Kein Bla, bla, bla mehr, dafür Papiergeraschel. Dozent beginnt: „Letzte Woche haben wir die deutsche Literatur des 20. Jahrhunderts behandelt. Bevor wir weiter machen: Hat irgendjemand noch Fragen zu den Themen...bla, bla, bla...“ Ich schweife ab. Interessantes Thema eigentlich, aber der Dozent hat eine Stimme, wie ein Staubsauger. Fwwwwww. Höre den Regen an die Scheibe prasseln. Prassel, prassel. Ich seufze. Wieso bin ich nicht einfach im Bett geblieben?

Bin wieder zu Hause. Es ist Abend, der Regen hat aufgehört, die Wohnung ist still. Stecke meinen MP3-Player an. Klick. Danach gar nichts mehr. Stille. Habe ich mir den ganzen Tag gewünscht. Ist aber irgendwie auch nicht das Wahre. Fühle mich fast ein bisschen einsam. Lege mich ins Bett, will eigentlich noch ein bisschen fernsehen, schlafe aber sofort ein. Höre gar nichts mehr. Schade eigentlich. Viele Stunden später: Piep, piep, piep. Der Wecker. Ich seufze. Ich hasse Geräusche.