VON MAXIMILIAN REICHLIN | 10.02.2014 15:39

One Love, One Heart – Über die Ursprünge der Reggae-Musik

Marihuana, riesige bunte Mützen und Gemütlichkeit. Dafür ist die Reggae-Musik auf der ganzen Welt bekannt. Doch dieses Genre hat weit mehr zu bieten, als nur eitel Sonnenschein und Cannabis-Rausch. Reggae ist Sklavenmusik, die Musik von Kämpfern, ein wirtschaftliches Phänomen und die Wurzel vieler heute populär gewordener Musikstile. UNI.DE wagt sich auf eine Zeitreise durch die Musikgeschichte bis hin zu den „Roots“ des Reggae und begegnet dabei Bob Marley, dem einen oder anderen Skinhead, einem äthiopischen Kaiser und Tänzern in Diskotheken unter freiem Himmel.

Woher der Begriff „Reggae“ genau kommt, ist unklar. Die wahrscheinlichsten Erklärungsversuche leiten den Namen vom Patois-Begriff „streggae“ für eine Prostituierte oder, in einem edleren Kontext, vom lateinischen „rex“ für König ab. Möglich wäre auch die Herleitung vom Begriff „raggamuffin“, was soviel wie Nichtsnutz oder Herumtreiber bedeutet. Eine sehr passende Erklärung, denn herumgekommen ist der Reggae im Laufe der Jahre tatsächlich.

Legalize it!

Seinen Ursprung hat der Reggae im Ska. Diese jamaikanische Tanzmusik wurde in den 60er Jahren ins Leben gerufen und vereinte Elemente des damals populären amerikanischen R'n'B, den man mit Hilfe von Transistorradios auch auf der Karibik-Insel hören konnte, sowie aus der karibischen Karnevalsmusik Mento. Bemerkenswert sind auch Elemente des Burru, einer traditionellen Trommelmusik, die im 16. Jahrhundert ihren Weg mit den deportierten afrikanischen Sklaven auf die damals spanische Kolonie Jamaika fand. Die Erfindung des Ska gilt nicht nur als die inoffizielle Geburtsstunde des Reggae, sondern auch als wirtschaftlicher Segen für Jamaika, wo mit diesem Musikstil die eigenständige Musikproduktion entstand.

Eine rege Musikkultur entwickelte sich rund um die schnelle und energiegeladene Tanzmusik: Produzenten und junge Künstler schossen aus dem Boden, mobile Diskotheken (die sogenannten „Sound Systems“) befuhren die Insel und errichteten ihre Tanzflächen unter freiem Himmel, DJs legten Platten auf und eine ganze Insel tanzte. Aus der Sound-System-Kultur entwickelte sich später in den USA übrigens der populäre Hip-Hop, die Musik der unterdrückten schwarzen Bevölkerung.

Aus dem Ska entwickelte sich dann bald der wesentlich langsamere „Rock Steady“. Wie genau, ist unbekannt. Eine urbane Legene besagt, dass eines Sommers eine besonders heftige Hitzewelle über Jamaika hinweg rollte und für leere Tanzflächen sorgte. Daraufhin sollen die pfiffigen Betreiber der Sound Systems ihre Plattenspieler auf eine kleinere Drehzahl umgeschaltet und die schnellen Ska-Platten einfach langsamer gespielt haben, wodurch der „Rock Steady“ (dt. „ruhig rocken“) entstand.

Wesentlich wahrscheinlicher ist jedoch, dass vor allem die Kultur um die jamaikanischen „Rude Boys“, die arbeitslosen Jugendlichen aus den Ghettos der größeren Städte, einen starken Einfluss auf die Entwicklung des Rock Steady genommen haben, der sich, anders als der schnelle Ska, auch für sozialkritische Texte eignete. Mit diesen wurde die jamaikanische Musik auch außerhalb der Insel bekannt, etwa in Großbritannien, wo sie schnell zur Musik der Arbeiterklasse und zum Identifikationsmerkmal der „Skinheads“ wurde. Welche Erklärung man auch bevorzugt, nur wenige Jahre später ging aus dem Rock Steady beinahe übergangslos der Reggae hervor.

Wichtig für diese Entwicklung ist vor allem Robert Nesta Marley, der mit seinen „Wailers“ eine Revolution in der Musikgeschichte auslöste. Er entfernte die Blechbläser aus dem Ska und dem Rock Steady und ersetzte sie durch Gitarren und bezeichnende Bassläufe. In dieser Form ist der „Roots-Reggae“ auch heute noch bekannt. Marleys Musik thematisiert vor allem religiöse Aspekte, etwa die Anbetung des letzten äthiopischen Kaisers Haile Selassie I, eine wichtige Figur in der Religion der Rastafari, sowie die prophezeite Heimkehr der ehemaligen Sklaven in ihre afrikanische Heimat. Auch sozialkritische Themen kommen zum Tragen, viele Songs rufen zur Hoffnung, zur gegenseitigen Liebe und zum Frieden auf.

Viele verschiedene Stile haben sich seitdem aus dem „Roots Reggae“ herauskristallisiert, etwa der Dub, eine vor allem elektronische Version, die beinahe ohne Gesang auskommt, oder der Dancehall, ein stark tanzbarer Stil, der vor allem in den heute noch existierenden Sound Systems gespielt wird. Selbst in Deutschland hat der Reggae, vor allem in den letzten Jahrzehnten, Fuß gefasst. In seinen Grundzügen jedoch ist und bleibt Reggae ein Musikstil, der mehr als jeder andere der Mentalität Jamaikas Rechnung trägt und damit eine Volksmusik im engsten Sinne, eine Musik von Sklaven und Kämpfern, Unterdrückten und Besitzlosen.