VON MAXIMILIAN REICHLIN
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07.02.2014 15:48
Ich höre was, was du nicht hörst – Über das absolute Gehör und Menschen, die es besitzen
Menschen, die über ein absolutes Gehör verfügen, sind ein wahres Phänomen. Noch immer weiß die Wissenschaft nicht, wie diese Fähigkeit gebildet wird, ob sie genetisch bedingt ist oder gar erlernt werden kann. Klar ist nur, dass das absolute Gehör nicht ganz so absolut ist, wie der Name vermuten lässt und nicht immer bringt es nur Vorteile mit sich. Was ist ein absolutes Gehör und warum scheiden sich hier die (musikalischen) Geister? UNI.DE hat ganz genau hingehört.
Als perfektes oder absolutes Gehör bezeichnet man gemeinhin die Fähigkeit, gehörte Töne ganz exakt bestimmen und benennen zu können. Die meisten Musiker oder Musikliebhaber benötigen dazu einen bekannten Referenzton, Absoluthörer hingegen erkennen die Tonhöhe auf Anhieb, wie andere Menschen eine Farbe erkennen. Vor allem für Berufsmusiker und Komponisten ist diese Fähigkeit mehr als nützlich, allerdings auch genauso selten. Nur etwa einer unter 1.000 bis 1.500 Menschen besitzt ein absolutes Gehör. Die Zahlen schwanken je nach Quelle.
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Die Frage nach der Häufigkeit von Absoluthörern ist nicht die einzige Unklarheit. Rätselhaft bleibt für die Wissenschaft nach wie vor, woher ein absolutes Gehör kommt, wie es gebildet wird, ob es vererbt oder gar erlernt werden kann. Klar ist nur: Offenbar hat diese Fähigkeit zur Tonerkennung einen
genetischen Ursprung. Asiaten sind dabei klar im Vorteil. Laut einer Studie der Universität von Kalifornien verfügen Menschen aus China, Thailand oder Kambodscha signifikant häufiger über ein absolutes Gehör, als Mitglieder anderer Kulturkreise, selbst wenn sie etwa in den USA oder in Europa aufwachsen. Ob es allerdings ein Gen gibt, das ganz gezielt ein absolutes Gehör bildet, oder ob die genetische Veranlagung die Bildung eines solchen nur begünstigt, ist unklar.
Direkt oder indirekt, viele Studien zum Thema sprechen über einen genetischen Zusammenhang. Bei der Frage, ob ein absolutes Gehör auch erlernbar ist, scheiden sich dagegen die Geister. Obwohl beispielsweise viele Kurse und Workshops angeboten werden und viele Menschen von sich behaupten, ein absolutes Gehör erlangt zu haben, ist ungewiss, ob eine solche Fähigkeit zur Tonerkennung tatsächlich antrainiert werden kann. Viele Studien halten es jedoch
nicht für wahrscheinlich. Demnach kann zwar durch bestimmte Methoden, etwa das wiederholte Vorspielen eines Tons, ein temporärer Effekt erzielt werden, doch meistens beschränkt auf bestimmte Tonarten und Instrumente. Auch verlieren solche „Pseudo-Absoluthörer“ ihre Fähigkeiten wieder, wenn das Training nicht fortgeführt wird.
Anders sieht es bei „gebürtigen“ Absoluthörern aus: Auch sie können zwar ihr absolutes Gehör verlieren, doch geschieht das höchstens durch einen Unfall, der die Hörfähigkeit an sich beeinträchtigt, oder erst im hohen Alter. Wenn die Struktur des Gehörs sich mit der Zeit verändert, kann es vorkommen, dass Töne mit einer bestimmten Frequenz auf Regionen des Innenohrs einwirken, die zuvor für gänzlich andere Frequenzen empfänglich waren. Die Folge: Die Töne erscheinen beim Hören höher, als sie tatsächlich sind. Je älter dabei der Hörer, desto größer ist auch die Fehlerquote. Auch das fanden die Forscher aus Kalifornien heraus.
Einige Musiker, die ihre Fähigkeit zum perfekten Hören mit der Zeit verloren haben, etwa der US-amerikanische Komponist
James E. Moore, schätzten sich darüber allerdings glücklich, denn ein absolutes Gehör bringt nicht nur Vorteile. Viele Absoluthörer haben Probleme mit dem Transponieren, also dem Übertragen eines Musikstückes in eine andere Tonart. Und obwohl ein absolutes Gehör meistens auch mit einem überragenden Tongedächtnis einher geht, weisen einige Menschen mit einem perfekten Gehör auch in dieser Hinsicht Defizite auf: Vom kanadischen Pianisten
Glenn Gould etwa wird erzählt, er habe ein Stück von Bach, obwohl er es in der Originaltonart auswendig gelernt hatte, in einer transponierten Fassung nicht erkannt.
Ob nun jedoch als Vor- oder Nachteil empfunden, Absoluthörer befinden sich in guter Gesellschaft: Namhaften Komponisten und Musikern, etwa Bach, Chopin und Beethoven wird der Besitz eines absoluten Gehörs nachgesagt. Bei Mozart soll das Gehör sogar so ausgeprägt gewesen sein, dass er einmal in Bologna eine ganze päpstliche Messe hören und sie später Ton für Ton korrekt niederschreiben konnte, und das sogar mehrstimmig. Ohne ein absolutes Gehör und ein perfektes Tongedächtnis, wäre ihm ein solches Meisterstück niemals gelungen.