VON MAXIMILIAN REICHLIN | 18.01.2016 13:14

Freiwilligenarbeit – Was bringt's?

Mehr als jeder dritte Deutsche engagiert sich neben dem Beruf noch in Vereinen oder Initiativen. Das geht aus aktuellen Erhebungen und dem letzten Deutschen Freiwilligensurvey hervor. Angesichts der vielen verschiedenen Arten von Freiwilligenarbeit fällt es jedoch schwer, den Wert des sozialen Engagements zu bestimmen. Einige Gemeinsamkeiten gibt es dennoch: So hat Freiwilligenarbeit einen immensen gesellschaftlichen und sogar einen wirtschaftlichen Wert. UNI.DE informiert.


Deutschland, das Land der Freiwilligen. Den Erhebungen des Deutschen Frewilligensurveys zufolge, engagierten sich im Jahr 2009 rund 36 Prozent aller Deutschen in Vereinen, Projektgruppen, Initiativen oder in sozialen Einrichtungen. Diese Zahlen liegen über dem europäischen Durchschnitt von 20 bis 29 Prozent und zeigen deutlich: Immer mehr Deutsche leisten neben dem Beruf Freiwilligenarbeit. Zum Vergleich: 1992 waren es noch rund 27 Prozent.

Der Freiwilligensurvey wird alle fünf Jahre von der Bundesregierung in Auftrag gegeben und gilt als repräsentatives Werkzeug, um Umfang und Art der Freiwilligenarbeit in Deutschland zu ermitteln. Dabei fließen unentgeltliche Engagements in den Bereichen Forschung und Entwicklung, Bildung, Gesundheits- und Sozialwesen, Interessenvertretung, sowie Kultur, Sport und Unterhaltung in die Erhebung mit ein.

Viele verschiedene Tätigkeiten – Ein Ziel?

Und das ist auch schon der Knackpunkt an der Studie. Die Frage lautet: Lassen sich diese Tätigkeiten überhaupt alle in einen Topf werfen? Das Engagement in einem politischen Kontext, zum Beispiel die gemeinsame Organisation einer Protestaktion, ist doch etwas anderes als die Freiwilligenarbeit in einem Verein. Oder nicht?

Direkte Demokratie - Europas Zukunft?

Betrachten wir zunächst die Gemeinsamkeiten: Sowohl der freiwillige Ordner bei einer Demonstration, als auch der Kassenwart im lokalen Fußballclub leisten unentgeltliche Arbeit, die für die jeweiligen Gruppen durchaus relevant ist. Während sich der eine allerdings für einen politischen oder gesellschaftlichen Wandel engagiert, also etwas „bewegen“ möchte, verspricht sich der andere aus seiner Freiwilligenarbeit ein reibungsloses Fußballspiel. Auf den ersten Blick ein Unterschied wie Tag und Nacht. Haben beide Formen der Freiwilligenarbeit den gleichen Wert?

Freiwilligenarbeit ist in erster Linie gelebte Demokratie im Kleinen

Um diese Frage beantworten zu können, müssen wir uns ansehen, aus welchen Gründen der Kassenwart und der Ordner – sowie all die anderen Engagierten in Selbsthilfegruppen, sozialen Einrichtungen oder Initiativen, wenn wir schon dabei sind – ihre Arbeit ausüben. Hauptmotivation für Freiwilligenarbeit ist nämlich nicht in erster Linie politischer Wandel oder Unterhaltung, sondern „gesellschaftliche Mitgestaltung“. Das zumindest hat der Freiwilligensurvey herausgefunden. Und unter diese Form der Mitgestaltung fallen die Tätigkeiten des Kassenwarts und die des Ordners im gleichen Maße.

Beide versuchen, die Gesellschaft in der sie leben, aktiv zu gestalten. In Mikrogesellschaften wie der Protestgruppe oder dem Verein, im Kleinen also. Oder, um es neudeutsch auszudrücken, bottom up, von unten nach oben. Das ist demokratische Mitbestimmung allererster Güte. Denn was sagt denn der Kassenwart zu „denen da oben“ wenn er sich, unbezahlt und in seiner Freizeit, für den Fußballclub engagiert? „Wir wollen diesen Volkssport in unserem kleinen Kreis am Leben erhalten. Und da diese Klausel in keinem Wahlprogramm zu finden ist, werden wir uns selbst darum kümmern!“ Ähnlich in der politischen Protestgruppe, der Umweltinitiative, der ehrenamtlichen Tierschutzorganisation: In jedem dieser Fälle ist die Freiwilligenarbeit größer als sie selbst, denn sie schafft eine breite Basis gesellschaftlicher Mitbestimmung, auf der sich ein demokratisches System erst erheben kann.

Freiwilligenarbeit als nützlicher Wirtschaftsfaktor

Zusätzlich fördert sie dabei die Kommunikation, bringt Menschen verschiedenster Glaubensrichtungen, Nationalitäten und Altersgruppen zusammen, die gemeinsam ein Ziel verfolgen. Und, ganz nebenbei, fördert Freiwilligenarbeit auch die Wirtschaft. Einer Erhebung der Organisation „Zivilgesellschaft in Zahlen“ (ZIVIZ) zufolge, erwirtschaftete der sogenannte „Dritte Sektor“ im Jahr 2007 einen Bruttowert von etwa 90 Milliarden Euro in Waren und Dienstleistungen. Das entspricht rund 4 Prozent der gesamten deutschen Bruttowertschöpfung in diesem Jahr, die, ohne die Freiwilligenarbeit, niemals in den Wirtschaftskreislauf eingebettet worden, ja nicht einmal zustande gekommen wären.

Auch in diesem Kontext ist es erfreulich, dass Deutschland offensichtlich eine florierende Engagement-Kultur an den Tag legt. Tatsächlich sind uns, laut einer aktuellen Studie des „betterplace Lab“ nur vier europäische Staaten überlegen, wenn es um Freiwilligenarbeit geht: Österreich, Schweden, Großbritannien und die Niederlande, die alle Prozentzahlen von über 40 Prozent erreichen. 2009 gaben allerdings über 50 Prozent aller befragten Deutschen zwischen 14 und 30 an, sich in der Zukunft eventuell oder bestimmt freiwillig zu engagieren. Mit solchen Zahlen sollte es ein leichtes sein, auch die magische 40-Prozent-Marke zu knacken.