VON JANA NOSSIN | 25.01.2016 15:42

UNI.DE Interview - über Menschen, das Leben und die anderen

Nach einem anstrengenden und arbeitsreichen Leben im Gastronomiebereich, haben sich Inge und Peter ihren Ruhestand wahrlich wohl verdient. Sie besitzen ein kleines nettes Häuschen am Rande von München - mit einem Garten, in dem im Sommer Rosen blühen und rote, saftige selbstgezogene Tomaten an der Hauswand gen Himmel emporwachsen. Eigentlich hätte das jung gebliebene, sympathische Paar nun viel Zeit, sein Leben richtig zu genießen, zu reisen, auszugehen, sich den verschiedensten Hobbys und der Familie zu widmen. All das tun sie natürlich auch. Darüber hinaus gibt es aber noch eine ganze Menge anderer spannender Dinge für Inge und Peter, die ihnen ihren Lebensabend – wie sie sagen - noch schöner und wertvoller erscheinen lassen. UNI.DE im Gespräch mit zwei Menschen, die sich in ihre Gesellschaft einbringen und in den unterschiedlichsten Bereichen des Lebens engagieren.


UNI.DE: Für zwei Menschen im besten Alter engagiert Ihr euch sehr viel. Wie kam es eigentlich dazu? Wie hat das alles angefangen?

Inge: Unser Engagement begann bereits, als wir noch berufstätig waren. Damals betrieben wir selbstständig eine Kantine, die auch regelmäßig von Menschen besucht wurde, die im „Betreuten Wohnen“ lebten. So kamen wir in Kontakt und man tauschte sich aus. So wie das eben üblich ist. Mit der Zeit kannte und vertraute man sich und erfuhr ein wenig voneinander. Und wenn wir dann bei dem einen oder anderen Problem irgendwie helfen konnten, haben wir das dann eben einfach gemacht.

UNI.DE: Wie sah diese Hilfe aus?

Peter: Das konnten ganz einfache Dinge sein, wie Reparaturen und kleinere Besorgungen. Oder wir haben einfach ein bisschen Zeit mit den Leuten verbracht. Ich glaube, das hat sie am meisten glücklich gemacht.

Inge: Ja, das denke ich auch. Zeit ist etwas, was heute fast keiner mehr hat. Wir haben unsere Zeit geschenkt. (Inge lacht)

UNI.DE: Und heute kümmert Ihr euch immer noch um diese Leute?

Peter: Nicht mehr um diese. Heute besuchen wir regelmäßig Helene und Ella. Die beiden sind 99 und 95 Jahre alt. Aber trotz ihres hohen Alters sind die beiden geistig richtig fit. Wir sehen uns 14-tägig jeweils für einen Nachmittag. Diesen verbringen wir dann zusammen, entweder bei uns oder wir besuchen die beiden im Wohnheim.

UNI.DE: Wie genau verbringt ihr diese Zeit dann zusammen?

Inge: Wir trinken zusammen Tee und reden. Früher haben wir oft Ausflüge gemacht, aber das geht aus gesundheitlichen Gründen heute nicht mehr. Das ist allerdings auch gar nicht schlimm. Ich mag es sehr, mich mit den beiden zu unterhalten. Gerade Helene weiß oft ganz genau, was in mir vorgeht, sie kann sich sehr gut in Menschen einfühlen und hat natürlich auch eine große Lebenserfahrung.

UNI.DE: Das hört sich so an, als würdest Du auch sehr von dieser gemeinsamen Zeit profitieren. Oder sagen wir es so; es klingt als würdest du nicht nur etwas geben, sondern auch zurückbekommen.

Inge: Ja, auf jeden Fall. Die beiden geben uns sehr viel zurück. Helene und Ella sind sehr klug, belesen und auch wir können von ihnen viel lernen. Sie geben uns ein inneres Strahlen, Freude und Inspiration. Das sind doch wunderbare Geschenke. Und auch wir spüren bei jedem Besuch ihre Dankbarkeit darüber, dass wir zusammen Zeit verbringen. Oft sagen sie uns dann beim Abschied „Danke, dass ihr euch Zeit für uns alte Menschen nehmt“.

UNI.DE: Das hört sich wirklich wunderbar an.

Darüber hinaus kümmert ihr euch auch um Flüchtlinge. Hat dieses Engagement mit der „Flüchtlingskrise“ begonnen?


Ehrenamt in einer Berliner Massenunterkunft

Inge: Nein, das war schon 2010. Ich hab damals den Film „Wüstenblume“ gesehen und war schrecklich entsetzt, was man den Frauen – sogar heute noch - mit der Beschneidung in diesen Ländern antut. Ich wollte dann unbedingt irgendetwas tun. Deshalb bin ich zu einem Vortrag von Faduma Korn gegangen. Sie hat als Kind selbst dieses schreckliche Ritual erleiden müssen, was sie dann wie durch ein Wunder überlebt hat. Heute lebt sie in München, gibt Vorträge und engagiert sich gegen diese grausame Tradition. Ich habe sie dann nach dem Vortrag angesprochen und gefragt, was ich tun kann. So kam es, dass sie mich mit einer somalischen Flüchtlingsfamilie mit 4 Kindern, die damals in einer Flüchtlingsunterkunft in München untergebracht waren, in Verbindung brachte. Die Menschen in diesem Flüchtlingsheim hatten nichts, außer das, was sie gerade am Leibe trugen. Keine Decken, keine Kleider, … einfach nichts. Wir lernten uns dann kennen und schnell wurde klar, dass ich ihnen helfen wollte.

UNI.DE: Wie sah diese Hilfe damals aus? Was konntet ihr für die Familie tun?

Inge: Zunächst einmal folgte ein bürokratischer Kampf. Denn die Familie war plötzlich in eine andere Unterkunft nach Grafenau versetzt worden. Wir haben dann Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, damit sie wieder zurück nach München, oder zumindest in unsere Nähe kommen konnten.

Peter: Ja, das war wirklich ein Akt. Aber es hat dann doch alles geklappt.

UNI.DE: Und wie ging es dann weiter?

Inge: Wir haben der Familie dann erst einmal geholfen, eine Wohnung zu finden. Da sie nichts, also auch keine Möbel oder andere Dinge, die man eben im Leben braucht, hatten, mussten wir dann erst einmal ein Minimum an Ausstattung organisieren. Das waren dann meist gebrauchte Möbel aus Secondhand-Häusern oder Kleinanzeigen, die wir für sie besorgt-, in Ordnung gebracht- und nach Hause gefahren haben.

UNI.DE: Ihr habt der Familie also bei der Integration geholfen.

Inge: Ja, das könnte man so nennen. Es ist ja nicht einfach in einem fremden Land - wenn man nichts besitzt, die Sprache nicht kann, die Gesetze nicht versteht, und eigentlich auf sich alleine gestellt ist - neu anzufangen und ein neues Leben aufzubauen. Das ist schon sehr hart, wenn man dabei keine Hilfe hat.

Und auch heute noch lernen wir noch manchmal zusammen Deutsch, oder ich helfe der Familie bei Behördengängen, bei der Anmeldung im Kindergarten zum Beispiel, oder wenn es irgendetwas in der Schule zu regeln gibt.

Peter wirft lachend ein: Und ich bin für die handwerklichen Sachen zuständig, kleine Reparaturen in der Wohnung, oder mal ein kaputtes Fahrrad. Mit 4 Kindern in der Familie gibt es immer irgendwas, wo man als „Aushilfsopa“ mal helfen kann. Und schließlich will man ja im wohl verdienten Ruhestand auch noch eine Aufgabe und das Gefühl haben, gebraucht zu werden.

UNI.DE: Aber gebraucht werdet ihr doch auch von eurer eigenen Familie, von euren leiblichen Enkeln, oder? Wie reagiert eure Familie denn auf Euer Engagement für andere Familien?

Inge: Wir haben immer versucht, unsere Familie mit einzubeziehen. Wir wollten, dass sie auch erkennen, dass es eben nicht selbstverständlich ist, in einem reichen Land aufzuwachsen und ein nahezu sorgloses Leben zu haben. Sie sollten verstehen, dass das Leben für viele Menschen eine Herausforderung und sogar Tortur sein kann. Und dass man - ist man mit den Annehmlichkeiten im Leben gesegnet, auch wenn wir dies in unserer Gesellschaft heute oft als selbstverständlich betrachten - auch anderen, denen es nicht so gut geht, etwas abgeben kann. Das Leben ist doch auch immer ein Geben und Nehmen. Wer gesund, glücklich und gut versorgt ist, kann doch dem Leben - also anderen Menschen oder der Umwelt - auch etwas zurück geben.

UNI.DE: Ja, auf jeden Fall. Wenn man weiß, dass Gesundheit, Nahrung und Unversehrtheit für viele Menschen eben nicht selbstverständlich sind, verspürt man ja auch viel mehr Dankbarkeit und wertschätzt die Dinge, die man hat, anstatt den Fokus zu stark auf das zu richten, was man vielleicht gerade nicht hat.

Inge: Ja, das hat auch unsere Enkelin Katharina schon verstanden. Über Weihnachten sollte sie im Rahmen einer Schulaufgabe eine Weihnachtsgeschichte verfassen und hat dafür einen Aufsatz über eine Flüchtlingsfamilie geschrieben. Also darüber, wie diese Menschen leben, wo sie her kommen und wie schwer das Leben manchmal für sie ist. Die Lehrerin lobte sie für ihren guten Aufsatz und war ganz erstaunt, woher sie das alles so genau wisse. Meine Enkelin hat dann geantwortet: „Von meinen Großeltern.“ Sie bekommt über uns natürlich sehr viel mit und hatte im Laufe der Zeit ja auch schon öfter persönlichen Kontakt zu den Kindern unserer somalischen Familie.

UNI.DE: Seht ihr euch selbst als Vorbild?

Inge (überlegt einen Augenblick): Ja, für unsere Familie und Enkelkinder schon.

UNI.DE: Apropos Enkelkinder. Ihr habt zwei leibliche Enkelkinder und darüber hinaus auch noch einen Patenenkel. Wie kam es denn dazu?

Peter korrigiert mich: Nein, wir haben nicht einen, sondern zwei Patenenkelkinder. Marlene und Emmely.

Inge: Nachdem ich damals aus dem Berufsleben ausgestiegen bin, wollte ich mich sozial mehr engagieren und bin deshalb zur Caritas in unserem Ort gegangen, um zu fragen, was man tun könne. Da schlug man mir unter anderem eine Leihenkelpatenschaft vor. Das klang sehr interessant, weil wir Kinder lieben. Deshalb wollten wir das ausprobieren, auch wenn wir schon zwei eigene Enkel hatten.

Man vermittelte uns also zu einer Familie, einer allein erziehenden Frau mit zwei Töchtern, die selbst keine Großeltern mehr hatten. Wir haben uns dann getroffen, um uns kennen zu lernen und um zu schauen, ob die Chemie stimmt und unsere grundsätzlichen Lebenseinstellungen zueinander passten. Das war dann auch der Fall. Wir hatten gleich einen guten Draht zueinander.

Peter: Allerdings, die Kinder - sie waren damals ja erst zwei und sieben Jahre - waren zuerst schon etwas skeptisch.

Inge (lacht): Ja, das stimmt. Marlene und Emmely waren am Anfang von der ganzen Situation verunsichert. Plötzlich sollten fremde Menschen ihre Großeltern sein. Außerdem hatten sie sich eine Oma ganz anders vorgestellt, na ja, so wie man sich eine Oma eben so vorstellt, mit grauen Haaren, Brille, Kittelschürze. Ich weiß noch wie Marlene damals sagte: „Was, du sollst jetzt unsere Oma sein? Du siehst doch gar nicht aus wie eine Oma.“

(Peter und Inge lachen).

Inge: Wir haben dann ausgemacht, dass wir uns ein Mal pro Woche nachmittags zwei bis vier Stunden treffen. Wie gesagt, haben die Kinder eine Zeit gebraucht, um mit der neuen Situation - oder besser gesagt - mit dem plötzlichen Familienzuwachs erst mal warm zu werden. Ich erinnere mich noch, als wir ein Mal spazieren gingen und Emmely plötzlich bockig wurde und nicht mehr weiter laufen wollte. Ich hab sie dann auf den Arm genommen und getragen. Sie frage mich dann: „Warum trägst du mich?“ Ich sagte dann: „Weil ich dich so lieb hab.“

Nach kurzer Zeit war das Eis dann schnell gebrochen und die Kinder gehören heute – wie unsere eigenen Kinder und Enkel – zu unserer Familie. Wir können uns ein Leben ohne sie auch gar nicht mehr vorstellen. Marlene ist mittlerweile 16 Jahre und lebt seit einiger Zeit in Edinburgh in einem Internat. Sie hat mich vor ihrer Anmeldung dort gefragt, ob sie sich denn wirklich dafür entscheiden solle, weil sie sich damals noch unschlüssig war. Wir haben dann lange von Enkel zu Oma geredet, danach hatte sie ein gutes und sicheres Gefühl dabei. Sie freut sich jetzt sehr, dass sie ein Jahr in Schottland verbringen darf.

Emmely ist heute 11 und kommt immer noch einmal pro Woche zu uns. Wir kochen dann zusammen oder gehen in die Natur. Im Prinzip ist es wie mit anderen Großeltern auch. Bei Oma und Opa dürfen die Kinder ja fast alles. Unsere Emmely setzt zum Beispiel regelmäßig unsere Küche in einen äußerst bedenklichen Zustand, wenn sie kocht. Aber sie liebt das und hat so viel Spaß dabei. Und Peter hilft ihr und gibt als ehemaliger Kochprofi, gute Tipps und Ratschläge. Wir freuen uns immer, wenn unsere Enkel uns besuchen kommen.

UNI.DE: Wie gehen eure eigenen Enkel damit um?

Inge: Am Anfang war das auch eine befremdliche Situation für sie und sie waren schon ein wenig eifersüchtig. Wir haben ihnen dann aber erklärt, dass genügend Liebe für alle da ist und dass wir sie deswegen nicht weniger lieb haben. Sie wussten und spürten dann, dass ihnen nichts verloren geht und haben sich dann sehr schnell an Emmely und Marlene gewöhnt und sich mit den beiden angefreundet.

Und heute ist es ganz normal wenn wir alle zusammen auf Familienfeiern sind, wir sind jetzt einfach eine große Familie.

UNI.DE: Gibt es etwas, was ihr anderen Menschen gerne mit auf den Weg geben wollt?

Peter: Dass es glücklich und zufrieden macht, sich nicht nur um sich selbst, sondern auch um andere zu kümmern, zu helfen und eben auch mal etwas zurück zu geben.

Inge: Ich möchte den Menschen sagen, dass man sich niemals einreden sollte, man könne rein gar nichts tun. Jeder Mensch hat doch irgendeine Begabung, die man für sich, aber auch für andere einsetzen kann. Ich denke, die größte Gabe ist die Liebe. Und die kostet oftmals nicht mehr als ein Lächeln, das von Herzen kommt.

UNI.DE: Vielen Dank für das schöne Interview.