VON ANGELA SCHWEIZER
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02.01.2016 16:23
Ehrenamt in einer Berliner Massenunterkunft
An Weihnachten arbeitete ich als Ehrenamtliche in einer der größten Berliner Notunterkünfte. Für UNI.DE habe ich aufgeschrieben, wie ich dazu kam und wie ich diese Zeit erlebte.
Auf der ganzen Welt lässt sich Deutschland für seine Willkommenskultur feiern. Dabei zeichnete sich der deutsche Staat angesichts der sich lange ankündigenden Flüchtlingskrise vor allem durch seinen inszenierten Notstand aus. Es waren linke Strukturen und die riesige Anzahl ehrenamtlicher Helferinnen und Helfer, die nach dem Komplettversagen der Behörden, wie beispielsweise vor dem Berliner Landesamt für Gesundheit und Soziales, eine menschenwürdige Versorgung sicherstellten.
Doch wie lange können sich diese Strukturen halten und wann überwiegen Frust und Überanstrengung der Ehrenamtlichen? Im November bekam ich über den E-Mail-Verteiler meiner Uni den dringenden Aufruf einer Berliner Notunterkunft, dass die Zahl der Ehrenamtlichen zurückgehe und vor allem über Weihnachten Hilfe gebraucht werde. Spontan buchte ich, damals noch im Auslandspraktikum, meine Rückreise über die Feiertage, um mich endlich selbst einbringen zu können.
Der erste Tag verlief hektisch: Gleich nach der Ankunft wurde ich zum Sortieren in die Kleiderkammer gebeten, das Sorgenkind der Einrichtung. Da auch dieser Posten einzig von Ehrenamtlichen gestützt wird, fehlt es an ausreichend Personal, um die gespendete Kleidung zu sortieren und wie vorgesehen täglich zu öffnen. Jeder Flüchtling muss eine Nummer ziehen und hat zehn Minuten Zeit, sich drei Kleidungsstücke auszusuchen. Doch bei der großen Anzahl wartender Menschen kommt nur ein sehr kleiner Teil täglich dran, das lange Warten und die kurze Auswahlzeit erzeugen neuen Stress und Konflikte unter den Flüchtlingen.
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1.000 Menschen in einer Halle
In der Unterkunft, in der ich arbeitete, sind 1.000 Menschen in einer Halle untergebracht, Männer auf der einen, Frauen und Kinder auf der anderen Seite, nur durch dünne Stellwände getrennt. Diese Situation, durch die viele Familien getrennt wurden, ist für die Menschen sehr belastend. Der Umbau in kleinere, familiengerechte Parzellen ist längst beschlossen und geplant, es fehlt – wie so oft – einzig an einer Unterschrift der entscheidungsbefugten Regierungsstelle. Aufgrund der ständigen personellen Unterbesetzung muss in einer Massenunterkunft unglaublich viel improvisiert werden, und statt sich auf die eigentliche Arbeit zu konzentrieren waren ich, die anderen Ehrenamtlichen und Festangestellten, sehr oft einfach nur beim „Feuerlöschen“. Wie gerne hätte ich viele der Bewohnerinnen und Bewohner näher kennengelernt, dafür fehlte jedoch meist die Zeit und so konnte ich Gespräche und Kontakte nicht vertiefen. Auch sollten wir Ehrenamtlichen davon absehen, Flüchtlinge nach Hause einzuladen oder außerhalb der Unterkunft einen privat organisierten Ausflug mit ihnen zu unternehmen, da sich dies rumsprechen und neue Konflikte erzeugen würde. Aber wie soll Integration dann gelingen, angesichts der Tatsache, dass sich die Massenunterkünfte immer mehr zu dauerhaften Einrichtungen entwickeln? Die Schwierigkeit war immer wieder, gerecht zu verteilen und den Menschen Angebote zu machen, damit sie nicht in ein Loch fallen und resignieren. Daher gibt es Deutschkurse direkt in der Unterkunft, und viel kreativen Spielraum für Ehrenamtliche, sich mit ihren Kenntnisse und Hobbies einzubringen. Neu waren z.B. der Lauftreff, um die Umgebung und Natur kennenzulernen, oder das Angebot, mit einem Ehrenamtlichen einmal die Woche zum Bouldern zu gehen.
Weihnachten in der Unterkunft
Auch an Weihnachten versuchten die Festangestellten, der großen Anzahl von Menschen gerecht zu werden und für alle ein paar schöne Stunden zu schaffen. Sie luden verschiedene Gemeinden ein, die vorbeikamen um Weihnachtslieder zu singen und mit den Menschen zu sprechen. Dazu deckten wir in einem Raum Tische mit Weihnachtsgebäck und Getränken. Wir verkleideten uns als Weihnachtsmänner und Weihnachtsfrauen und verteilten die gespendete Schokolade an die strahlenden Kinder. Ein großes Berliner Theater spendete Karten für eine Vorstellung an Heilig Abend, und so machten wir uns, mit 100 Personen, auf den Weg quer durch die Stadt.
Nach der Show, bei der viel gelacht, gestaunt und hoffentlich die vielen Sorgen und die Ungewissheit für kurze Zeit vergessen wurde, stellte der Vater einer siebenköpfigen Familie fest, dass er sein Handy verloren hatte. Eine Katastrophe! Das einzige Kommunikationsmittel zu Familie und Freunden im Herkunftsland. Der ganzen Familie stand der Schreck ins Gesicht geschrieben. Ich blieb länger mit der Familie, um den Verlust zu melden und die Tribüne abzusuchen – nichts. Bedrückt liefen wir zur U-Bahn-Station und warteten. Neben uns, ein einsamer deutscher Straßenmusikant, der leise Gitarre spielte. Bevor die U-Bahn einfuhr, lief der Vater zu ihm, griff in seine Taschen und gab ihm die letzten Münzen, die er bei sich trug.
Bild: "
P1710760 Adventsfeier 2015 im Café Welcome (Detmold)". © Thorsten Krienke - flickr.com
Lizenz:
CC BY-SA 2.0