VON ANGELA SCHWARZER | 23.01.2015 12:49

Gefangen vor den Toren Europas - über die tödlichste Grenze der Welt

Etwa 40 000 Flüchtlinge aus Ländern südlich der Sahara leben derzeit in Marokko. Was für sie ein Zwischenstopp sein sollte, entpuppt sich als Festung, mit wenig Hoffnung auf ein Leben in Wohlstand und Würde. Seit die Grenzen dicht sind, gibt es für die Migranten keine legale Möglichkeit mehr, nach Europa zu gelangen. Nun will der Bundesinnenminister Thomas de Maizière Asylanträge direkt in Marokko abfertigen. Von der europäischen Abschottungspolitik profitieren, neben den Schleppern und der marokkanischen Regierung, vor allem europäische Rüstungsunternehmen wie EADS und Thales. Statt Abschreckung hat die Militarisierung von Europas Grenzen jedoch nur den Tod von mehr Menschen zur Folge.


Als „Stachel in seinem Herzen“ bezeichnete Papst Franziskus im Jahre 2013 die süditalienische Insel Lampedusa, als bei einem der schwersten Schiffsunglücke mehr als 300 Bootsflüchtlinge ertranken. Die Globalisierung der Gleichgültigkeit und das Wohlstandsdenken führe dazu, dass Europa nur an sich selbst denke, und immer mehr Menschen im Meer ertrinken lasse. Trotz scheinbarem Entsetzen in der Politik fand ein Paradigmenwechsel jedoch nicht statt, die Abschottungspolitik wurde sogar noch verstärkt. „Ausnahmslos jeder Beschluss, den die europäischen Innenminister seit der Lampedusa-Katastrophe im vergangenen Herbst verabschiedeten, wirkte wie ein papiergewordener Schlag ins Gesicht der Flüchtlinge“, so Barbara Lochbihler, außen- und menschenrechtspolitische Sprecherin der Grünen im Europaparlament. Besonders sichtbar werden die Auswirkungen dieser Politik in Marokko. Flüchtlinge aus der Subsahara-Region sind dort gestrandet, und bereiten ihren illegalen Übertritt nach Europa vor, da es für sie keine legale Möglichkeit der Migration gibt.

Neue Konstellationen und alte Ideologien

Marokko als neuer Wachhund Europas

Bundesinnenminister Thomas de Maizière will nun „Willkommens- und Ausreisezentren“ in Marokko errichten, um die Flüchtlinge schneller abzufertigen und eine Einreise nach Europa zu verhindern. Dass die menschenrechtliche und rechtstaatliche Situation in Marokko äußerst bedenklich einzustufen ist, scheint ihn dabei weniger zu interessieren. Migranten aus der Subsahara-Region sind in Marokko institutioneller und systematischer Gewalt ausgesetzt. Sie werden auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt diskriminiert, und sind Opfer von Überfällen und rassistischen Angriffen. Auch marokkanische Polizisten nehmen den Flüchtlingen häufig Geld und Wertsachen ab, die sie in den Straßen zum Verkauf anbieten. In Stadtvierteln, in denen besonders viele Subsahara-Flüchtlinge wohnen, stehen willkürliche Deportation durch die Polizei auf der Tagesordnung. Die Polizei fährt sie ins algerische Grenzgebiet nach Oujda, wo sie sie im Wald aussetzt. Human Rights Watch bestätigt exzessive Gewalt und Misshandlung durch die marokkanischen Polizei. Die Subsahara-Flüchtlinge haben sehr geringe Chancen, diese massiven Menschenrechtsverletzungen anzuzeigen, da sie keine legalen Aufenthaltspapiere besitzen und somit in Marokko rechtlos sind. Nach internationalen Protesten erließ die marokkanische Regierung ein Gesetz, das es Frauen und Kindern ermöglichen soll, schneller Aufenthaltspapiere zu bekommen. An deren Umsetzung hapert es jedoch, und die Tatsache, dass die Partner und Familienväter jederzeit wieder exportiert werden können, führt das Gesetz fast ad absurdum.

Die tödlichsten Grenzen der Welt

Europa hat die tödlichste Grenze der Welt. Seit der Aufrüstung und Militarisierung der Grenzen vor 14 Jahren sind 22.000 Menschen gestorben, beim Versuch die Grenzen zu überqueren. Von der weiteren Militarisierung der EU-Außengrenzen profitieren vor allem die Schlepper, aber auch europäische Rüstungsunternehmen wie EADS und Thales. Auch für die marokkanische Regierung ist dies ein lohnendes Geschäft. Pro „abgewehrtem“ Flüchtling bekommen sie Geld von der EU. Wie sie die Zahlen genau nachweisen, bleibt ihr Geheimnis.

Letzten Endes sind die europäischen Politiker überfordert von der Komplexität der weltweiten Migrationsbewegungen. Durch ihre Erzählungen von „Massen“, die es zurückzuhalten gilt, erlangen sie scheinbare Souveränität, Inszenierungspotential und Wählerstimmen zurück. Mehr Abschottung sorgt jedoch im Umkehrschluss nur für mehr Schlupflöcher, Schleuser und neue Wege der Migration. Es ist paradox, für Waren, Dienstleistungen und Touristen alle Grenzen zu öffnen, und gleichzeitig die Mauern höher zu ziehen und zu erwarten, dass sich Menschen außerhalb der Wohlstandszone davon nicht angesprochen fühlen.