VON ANGELA SCHWEIZER | 31.08.2015 15:11

Hart an der Grenze – wer profitiert vom Grenzgeschäft?

Jeden Tag werden wir überflutet mit Bildern von Menschen, die sich auf dem Weg nach Europa oder an den europäischen Grenzzäunen befinden. Migration wird dabei als Krise und Problem dargestellt, und nicht als Normalität in einer globalisierten Welt oder als Folge von Kolonialismus und globaler Ungleichheit. Normal scheint hingegen, dass Mauern Menschen trennen, dass Grenzübertritte „illegal“ sind, und dass Schlepper an allem schuld sind. Solange es geschlossene Grenzen gibt, wird es jedoch immer kommerzialisierte Fluchthilfe geben. UNI.DE ist der Frage nachgegangen, wie „effektiv“ die europäische Grenzsicherung wirklich ist, warum Mauern gebaut werden und wer davon profitiert.


„Die Grenzsicherung bringt nichts. Null“

Sabine Hess ist Professorin für Kulturanthropologie an der Universität Göttingen. Einer ihrer Forschungsschwerpunkte sind Grenzregime. Die Grenzsicherung produziere vor allem eins, so die Migrationsforscherin: Tote und Sklavenmärkte, wie beispielsweise auf dem ägyptischen Sinai in Richtung Israel. Menschen ließen sich dadurch zu keiner Zeit von ihrem Migrationsprojekt abhalten. Täglich wird bewiesen, dass die Milliarden, die in die Grenzsicherung investiert wurden, umsonst waren, da Mechanismen wie Fingerabdrücke und das Abgeben biometrischer Daten umgangen werden und Flüchtlinge trotzdem kommen. Weltweit seien alle Versuche gescheitert, Bewegungen über Grenzen zu kontrollieren, wie auch neue Statistiken aus den USA und Mexiko zeigen. Die europäischen Migrationspolitiken koppeln sich damit sogar von rationalen Bedingungen ab. Dass nicht einmal die derzeitigen starken Solidaritätswellen innerhalb europäischer Gesellschaften die Regierungen zum Umdenken bewegen, erklärt sich die Kulturforscherin mit deren kompletter Ideenlosigkeit sowie mit Ideologien wie Nationalismus und Rassismus, die „eben keinen zweckrationalen Boden brauchen“.

"Ein hungerndes Kind zu ernähren kostet 40 Cent und einen Knopfdruck"

Migration und Flucht hängen von strukturellen Faktoren ab

Die Idee, Migration steuern oder kontrollieren zu können, sei absurd, meint der Migrationsforscher François Gemenne. „Offene oder geschlossene Grenzen haben überhaupt keinen Einfluss darauf, ob sich Menschen auf den Weg machen“, so Gemenne. Der Migrations- bzw. Fluchtwille hängt von strukturellen Faktoren ab wie Armut, Hunger und Krieg. Diese wiederum entziehen sich jeder Migrationspolitik. Einzig die Zahl der Toten würde durch die Grenzschließungen steigen, da sich die Menschen auf gefährlichere Wege über das Meer begeben und höhere Risiken in Kauf nähmen. Bestes Beispiel: Die Abschaffung des italienischen Seenotrettungsprogramms Mare Nostrum hat nachweislich nicht zu weniger Migration über das Mittelmeer geführt, im Gegenteil. Im Gegenzug hat die Öffnung der Grenzen innerhalb Europas nicht wie angenommen zu einer „Armutsmigration“ von Ost nach West geführt.

Grenzen - technisch und politisch nutzlos

Warum werden also weiter Mauern gebaut und Grenzen aufgerüstet, obwohl doch eigentlich längst bewiesen ist, dass diese technisch und politisch nutzlos sind? Anstatt das Geld in Flüchtlingshilfe und das Aufbauen von Infrastrukturen zu stecken, wird ein Vielfaches der benötigten Summen in Abschottungspolitik investiert: So gab die EU seit 2009 insgesamt 1, 3 Milliarden für die Forschung zur Grenzsicherung aus, was von Fachleuten als „reine Geldverschwendung“ bezeichnet wird.

Dies ist jedoch nur die halbe Wahrheit, da all die Forschungs- und Wirtschaftsinstitutionen, die im Abwehrkampf mitarbeiten, enorm profitieren von den riesigen Geldflüssen: Laut der Studie „Grenzwertig“ der Heinrich-Böll-Stiftung kostet das europäische Grenzüberwachungsprogramm Eurosur 900 Millionen Euro, weitere 1,5 Milliarden stellt die EU den Mitgliedsstaaten in den kommenden Jahren für den „Grenzschutz“ zur Verfügung, das Jahresbudget von Frontex beläuft sich mittlerweile auf fast 100 Millionen.

In „The Migrant Files“ tragen Recherchierende aus der Medienbranche und der Wissenschaft zusammen, was die Aufrüstung europäischer Grenzen kostet, wie viele Menschen dabei bisher umgekommen sind und wer davon profitiert: Laut den Statistiken sind dies vor allem die größten europäischen Rüstungsunternehmen wie Finmeccanica oder Airbus…