VON MAXIMILIAN REICHLIN | 20.08.2015 16:20

„Ein hungerndes Kind zu ernähren kostet 40 Cent und einen Knopfdruck“ - UNI.DE im Gespräch mit ShareTheMeal

Rund 795 Millionen Menschen auf der Welt leiden nach Angaben des Welternährungsprogrammes der Vereinten Nationen (UN World Food Programme; WFP) an Hunger, ein großer Teil davon Kinder und Jugendliche, deren Entwicklung und Lebensqualität durch Unterernährung nachhaltig beeinträchtigt werden. Ein junges Team aus Berlin hat sich nun den Kampf gegen den globalen Hunger auf die Fahne geschrieben. Mit der App ShareTheMeal und der engen Zusammenarbeit mit WFP sollen Nutzer in der Lage sein, mit nur wenigen Klicks einem Kind im südafrikanischen Land Lesotho (rund 50.000 hilfsbedürftige Kinder) eine Mahlzeit zur Verfügung zu stellen. Co-Gründer Sebastian Stricker spricht darüber, wie die App funktioniert, wie die Idee dazu entstand und wie es mit dem ehrgeizigen Projekt weitergehen soll.


UNI.DE: Wie funktioniert die ShareTheMeal App genau? Was muss ein Nutzer tun, um eine „Mahlzeit zu teilen“?

Sebastian Stricker: Er oder sie muss sich zunächst einmal die App herunterladen. Wenn er das macht und die App zum ersten Mal öffnet, gibt es einen Anmeldeprozess, der etwa 30 Sekunden dauert und danach kann er Mahlzeiten teilen wann immer und wo immer er will. Im Wesentlichen haben wir versucht, das so einfach wie möglich zu machen. Das heißt, der Nutzer drückt einfach nur auf den Knopf in der App und dadurch gehen automatisch 40 Cent an das UN World Food Programme. Mit diesen 40 Cent kann die UN ein Kind einen ganzen Tag lang ernähren, das sonst nichts zu essen hat.

UNI.DE: Wie kam die Kooperation der App mit dem UN World Food Programme zustande?

Sebastian Stricker: Grundsätzlich ist WFP die passendste Organisation für ShareTheMeal. Es ist die größte humanitäre Organisation der Welt wenn es darum geht, den Hunger zu bekämpfen, und bringt die nötige Erfahrung und Infrastruktur mit. Das Ganze hat aber auch eine praktische Komponente: Ich habe früher selbst bei WFP gearbeitet und als dann die Frage aufkam, wer die Mahlzeiten für ShareTheMeal verteilen soll und wie man die App schnell und effektiv aufbauen kann, war es naheliegend, mit WFP zusammenzuarbeiten.

UNI.DE: Sie sprachen zuvor von 40 Cent pro Spende. Das klingt zunächst nach wenig Geld. Wie ist es dem WFP denn möglich, ein Kind einen ganzen Tag lang für diese Summe zu ernähren?

Sebastian Stricker: Tatsächlich sind 40 Cent der globale Durchschnitt um ein Kind für einen Tag mit Essen zu versorgen, in Ausnahmefällen ist es sogar noch billiger. In diesen 40 Cent stecken alle Kosten, die dafür aufgewendet werden müssen. Natürlich das Essen an sich, also die Produktion und der Einkauf, dann der Transport des Essen an den Ort, wo es gebraucht wird, sowie die Zubereitung der Mahlzeiten. Und natürlich ist es wichtig, dass durch diese Summe auch eine gewisse Kontrolle gewährleistet wird, ob die Mahlzeiten den Kindern helfen, die sie am nötigsten brauchen und ob auch der gewünschte Effekt eintritt. Diese Kontrolle wird von der UN selbst durchgeführt, was die Partnerschaft mit WFP für uns sehr attraktiv macht. Schließlich stecken auch die Verwaltungskosten von WFP in diesen 40 Cent.

UNI.DE: Rein hypothetisch: Lässt sich eine Rechnung anstellen, wie viele Nutzer oder wie viele geteilte Mahlzeiten nötig wären, um den Hunger in Lesotho endgültig zu besiegen?

Sebastian Stricker: Ich glaube, es ist schwer, das wissenschaftlich stichhaltig zu beantworten. Ich würde nicht versuchen wollen, eine Prognose aufzustellen, wie die Verhältnisse in zwei oder drei Jahren aussehen könnten. Man kann natürlich errechnen, wie viele Kinder eines Landes unterernährt sind, wie viel es kosten würde, diese Kinder zu ernähren und dann muss man sich ein Modell bauen, um sich anzusehen, wie schnell diese Kinder in die Lage versetzt werden können, sich selbst zu ernähren. Das ist ja im Grunde die Kernidee der humanitären Hilfe: Menschen zu befähigen, sich selbst zu versorgen. Aber aus diesem Teufelskreis aus Armut und Hunger auszubrechen ist natürlich ein Prozess, der nicht von Heute auf Morgen beendet ist.

Bildung für alle – eine Utopie?

UNI.DE: Im Moment konzentriert sich ShareTheMeal ausschließlich auf Schulmahlzeiten. Warum werden die geteilten Mahlzeiten auf diesem Weg verteilt und nicht etwa im privaten Bereich?

Sebastian Stricker: Was uns und wahrscheinlich auch den Nutzern besonders wichtig ist, ist, dass wir versuchen, nachhaltig zu helfen. Wir wollen vermeiden, dass wir nur kurzfristige Abhilfe verschaffen, und die Probleme danach immer noch bestehen. Diese Probleme sind Krankheit, Armut und mangelnde Bildung. Sie verursachen Hunger, dieser führt wiederum zu Krankheit, Armut und mangelnder Bildung. Es ist, wie bereits angesprochen, ein Teufelskreis. Deswegen helfen wir den Kindern mit Schulmahlzeiten.

UNI.DE: Um gleichzeitig etwas für die Bildung zu tun?

Sebastian Stricker: Ja. Es ist tatsächlich so, Schulmahlzeiten erhöhen die Anzahl der Kinder, die die Schule besuchen. Es handelt sich dabei oft um die einzigen Mahlzeiten, die die Kinder an diesem Tag bekommen und viele Kinder nehmen auch sogenannte Take-Home-Rations mit nach Hause zu den Familien. Ansonsten müssten sie auf dem Feld arbeiten oder anderweitig eine Arbeit suchen, um überhaupt etwas zu essen zu bekommen, und können dadurch die Schule nicht besuchen, was wieder zu mangelnder Bildung führt. Gleichzeitig haben wir durch unsere Konzentration auf Schulmahlzeiten natürlich auch den praktischen Nutzen, die bestehende Infrastruktur und die Strukturen vor Ort, etwa die Mitarbeiter an den Schulen, optimal nutzen zu können.

UNI.DE: Reden wir über das Geld. Wie finanziert sich ShareTheMeal? Ist es möglich, mit dieser Idee Geld zu verdienen?

Sebastian Stricker: Die zweite Frage ist relativ einfach zu beantworten: Nein. Wir sind eine reine Non-Profit-Organisation und ich arbeite selbst zur Zeit ehrenamtlich, genau wie der größte Teil des Teams. Zur Finanzierung: Es ist wichtig, dass es hier zwei separate Töpfe gibt. Zum Einen die jeweils 40 Cent, die von den Nutzern kommen. Dadurch finanziert sich ShareTheMeal nicht, diese 40 Cent werden ausschließlich dafür eingesetzt, um WFP zu befähigen, die Nahrungsmittel einzukaufen und damit den Kindern zu helfen. Der zweite Topf, das Budget von ShareTheMeal selbst, setzt sich zusammen aus der Beteiligung von Unternehmen, vermögenden Einzelpersonen und einem Innovation Grant der UN.

UNI.DE: Wie ist die Idee zur ShareTheMeal App entstanden?

Sebastian Stricker: Der Ausgangspunkt war die Information, wie unglaublich billig es ist, ein Kind für einen Tag zu ernähren, nämlich mit nur 40 Cent. Das war für mich persönlich nur sehr schwer zu glauben, als ich damals angefangen habe, auf diesem Gebiet zu arbeiten. Der logische nächste Schritt, dieses Wissen umzusetzen, war die Überlegung, dass viel mehr Leute diese relativ kleine Summe zur Verfügung stellen würden, wenn es einen einfachen Weg dafür gäbe. Dadurch ist die Idee entstanden, dass man das möglicherweise mithilfe von Smartphones bewerkstelligen könnte, denn wir wussten: Es gibt 20mal so viele Smartphone-Nutzer wie hungernde Kinder auf dieser Welt. Das war im Grunde der Startschuss für das Projekt. Der Leitgedanke dahinter ist: für die meisten von uns sind 40 Cent nicht besonders viel. Aber für ein hungerndes Kind sind diese 40 Cent Essen für den ganzen Tag. Und das kostet den Nutzer mittlerweile nur einen Knopfdruck.

UNI.DE: Aktuell beschränkt sich ShareTheMeal auf das Land Lesotho. Was ist für die Zukunft vorgesehen? Gibt es Pläne, den Einflussbereich der App noch auf andere Länder und Regionen auszudehnen?

Sebastian Stricker: Wir wollen natürlich versuchen, das Projekt so groß wie möglich zu machen. Mittlerweile haben wir 100.000 User, die schon über eine Million Mahlzeiten geteilt haben. Das zeigt uns, dass die Idee funktionieren kann. Deswegen arbeiten wir gerade an zwei Dingen: Erstens wollen wir die App global zur Verfügung stellen. Die erste Phase in Deutschland hat bisher gut geklappt und wir haben dabei viel gelernt. Deswegen feilen wir weiter an der App und hoffen, dass wir sie in zwei oder drei Monaten global anbieten können. Zweitens wollen wir natürlich so viel Fortschritt wie möglich erzielen, aktuell noch in Lesotho, in Zukunft aber vielleicht auch in anderen Regionen.