VON ANGELA SCHWEIZER | 19.11.2014 14:37

Voluntourismus: Nur noch kurz die Welt retten

Egal ob Waisenkinder in Madagaskar betreuen, Ziegel schleppen beim Häuserbau in südafrikanischen Townships oder Englisch unterrichten in Vietnam: Inzwischen können bereits Abiturienten als Entwicklungshelfer in alle Welt, und das ohne pädagogische Ausbildung, kulturelle Expertise oder die nötige Qualifikation, die man beispielsweise für das Ausüben einer Lehrtätigkeit benötigt. Fraglich ist, wer vom Freiwilligentourismus am Ende am meisten profitiert.

Voluntourismus nennt sich der neueste Trend der Tourismusbranche. Dies ist eine Mischung aus der Freiwilligenarbeit, englisch „Volunteering“ und Tourismus. Dabei wollen junge Menschen in möglichst kurzer Zeit möglichst viel Gutes tun, in einem möglichst exotischen Land.

Geht es dabei wirklich um die Reduzierung von Armut oder um die spirituelle Erfüllung des Voluntouristen? Diese Frage stellte sich auch ein ehemaliger Voluntourist, der miterlebte, dass die meiste Arbeit von der lokalen Bevölkerung selbst erledigt wurde, während die Reisenden meist auf Fotos mit Kindern posierten, deren Namen sie nicht einmal kannten. Mit ihrer Anwesenheit und der dabei gestifteten Unruhe verlangsamten sie sogar den Arbeitsprozess, anstatt ihn voranzutreiben.

Work and Travel - Mit dem Rucksack um die Welt

Mehr Schaden als Nutzen?

Dass Voluntourismus benachteiligten Region dieser Welt sogar mehr schaden als nutzen kann, beweist das Beispiel Balis: dort werden Kinder aus ärmeren Familien von ihren Eltern selbst in Waisenhäuser gebracht, da sie hoffen, dass die Schulkosten von den Reisenden aus dem Westen übernommen werden, durch die die dortige Waisenhausindustrie boomt.

Der freie Zugang zu den intimen Räumen einer anderen Gesellschaft ist möglich aufgrund von Macht und Privilegien, was leider viel zu wenig in diesen Programmen reflektiert wird. Oftmals beschweren sich Studierende, dass sie nicht sehr freundlich vom lokalen Lehrpersonal aufgenommen wurden. Doch wie würden Lehrkräfte in Deutschland reagieren, wenn beispielsweise afrikanische Studierende ohne Berufserfahrung für ein paar Tage den Unterricht übernehmen wollen würden?

Anstatt Klischees und Vorurteile über andere Länder abzubauen, können diese sich bei solchen Kurzzeiteinsätzen sogar noch verstärken, denn das Kennenlernen und Einlassen auf eine andere Kultur ist während eines kurzen Aufenthalts kaum möglich. Im Vorbereitungsseminar lernen die jungen Freiwilligen zudem wenig über die Menschen, mit denen sie zusammenarbeiten werden, über deren Geschichte oder Lebensweise. Im Vordergrund steht bei diesen Reisen vor allem das Erleben von Armut und sozialen Problemen, was neokoloniale Dynamiken vom großzügigen Geber und dem hilfsbedürftigen Empfänger auf der Mikroebene reproduziert. Globale Zusammenhänge werden dabei nicht reflektiert, sondern meist auf einfache Erklärungsmuster zurückgegriffen, vielleicht auch um die eigene privilegierte Stellung zu rechtfertigen.

In einer durch und durch ökonomisierten Welt scheint Voluntourismus die perfekte Win-Win-Situation, um den eigenen Lebenslauf aufzupolieren und interkulturelle und soziale Kompetenzen unter Beweis zu stellen. Wer jedoch am ungleichen Zugang zu Ressourcen und dem globalen Weltwirtschaftssystem wirklich etwas ändern möchte, muss dafür nicht um die halbe Welt fliegen.

Reflexionen vor dem Auslandseinsatz

Grundsätzlich sollte daher vor dem humanitären Einsatz nachgedacht werden, was die eigene Motivation für den Auslandsaufenthalt ist: Geht es wirklich um eine positive nachhaltige Verbesserung der Lebensbedingungen der Menschen vor Ort? Oder sind gar Schuldgefühle oder Voyeurismus im Spiel, bei denen der globale Süden als Spielplatz oder Ort der Selbstgeißelung für das eigene Ego dient?

Bekommen die Menschen im Zielland die Möglichkeit, Deutschland kennenzulernen? Beim europaweit größten Freiwilligendienst Weltwärts gibt es seit 2013 ein Süd-Nord-Programm, das aus der Einbahnstraße führen und Reziprozität im gegenseitigen Austausch ermöglichen soll.

Wer profitiert von den oftmals hohen Gebühren, die die Freiwilligen bezahlen? Meist sind dies einige wenige Organisationen und nicht die lokale Bevölkerung, da sich das Freiwilligengeschäft zu einem eigenen Wirtschaftszweig entwickelt hat. Empfehlenswert sind internationale Organisationen, die mit lokalen NGOs zusammenarbeiten. Die Freiwilligenorganisation Service Civil International beispielsweise setzt sich für Nachhaltigkeit ein, realisiert Projekte nur in Zusammenarbeit mit und unter Anleitung der lokalen Bevölkerung und lädt Freiwillige im Gegenzug nach Europa ein.