VON NORA GRAF
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08.12.2014 14:23
Vergebung: Wege aus der Spirale aus Hass und Rache
Wohl jeder kennt das Gefühl, wenn man so richtig wütend auf jemanden ist, von dem man sich ungerecht behandelt fühlt. Da fällt es schwer, etwas auf sich sitzen zu lassen und es dem anderen nicht heim zahlen zu wollen. Doch fühlt man sich nach einem Racheakt tatsächlich besser? Schwierige Frage. In jedem Fall kann dadurch ein ewiges hin und her aus Racheakten entstehen. „Gewalt erzeugt Gewalt. Und Gewalt bedeutet nur eins: Leid“, das sagt der Dalai Lama in seinem „Buch der Menschlichkeit“. Die persönliche Ebene lässt sich auch auf die politische übertragen, also auch auf Krieg und Gewalt. Nach Ansicht des Dalai Lama kann dauerhafter Frieden – und damit der Weg aus der Spirale aus Hass und Rache – nur funktionieren durch eine Veränderung der persönlichen Grundhaltung jedes Einzelnen, hin zu einer Geisteshaltung der Vergebung.
Betrachtet man zum Beispiel die Lage im nahen Osten zwischen den Israelis und Palästinensern, so sieht man sich mit einer vermeintlich ausweglosen Situation konfrontiert. Es bietet sich das Bild eines tief verwurzelten Konflikts, der sich äußert in einer endlosen Spirale aus Vergeltungs- und Racheakten. Lässt sich dieser Kreislauf der Gewalt überhaupt durchbrechen?
Die Kernlehren des Buddha: Die Friedensphilosophie des Dalai Lama
Wohl einer der prominentesten Verfechter einer gewaltlosen Lebensweise – neben den großen Weltreligionen – ist der Mönch Tendzin Gyatsho, der 14. Dalai Lama. Schon mit fünfzehn Jahren wurde er zum weltlichen und geistigen Oberhaupt Tibets ernannt (die weltliche Position gab er 2011 auf). Für seine Bemühungen um eine gewaltfreie Lösung im Tibet-Konflikt erhielt er 1989 den Friedensnobelpreis.
Streit um das Amt des Dalai Lama
Die KP-Führung aus Peking hat einen eigenen Dalai Lama für Tibet bestimmt. Die Tibeter weigern sich jedoch diesen anzuerkennen und der Dalai Lama zieht in Betracht die sechshundert Jahre alte Tradition des Lamas ganz abzuschaffen
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Der
Dalai Lama ist überzeugt davon, dass ein Weltfrieden möglich ist. Dazu ist vor allem die „innere Abrüstung“ jedes einzelnen Individuums nötig. Gewaltlosigkeit kann nur in den Herzen der Menschen statt finden, das heißt, Frieden besteht nicht dadurch, dass keine Gewalt herrscht, sondern indem sich die Menschen von negativen Gefühlen frei machen. Neben Begierde und Verblendung ist der Hass einer der Hauptursachen für Krieg und Konflikte: Der Hass gegen Andersdenkende, die Gier nach Macht und die Verblendung darüber, wie man selbst und andere leben. Nur durch die Abkehr von falschen, egoistischen Neigungen und durch die Hinwendung zu mehr Mitgefühl, Liebe und Vergebung lässt sich dauerhafter Weltfrieden ermöglichen. Die Menschen müssten daher eine umfassende, globale Geisteshaltung entwickeln, ein „universelles Bewusstsein“, das sich für das Wohl der Anderen einsetzt und nicht nur an den eigenen Interessen orientiert ist.
Ho'oponopono als Verfahren der Vergebung
In Polynesien besteht schon eine
sehr lange Tradition der geistigen Reinigung. Manche polynesischen Kulturen sind der Überzeugung, dass Fehler, die der Einzelne macht, Auswirkungen auf Krankheiten haben und die Götter verärgern könnten. Andere glauben, dass die aus diesem Fehlverhalten entstandenen Schuldgefühle krank machen. Überdies können Eltern, die ihre Fehler nicht bereinigt haben, die Schuld an ihre Kinder weitergeben. Die ursprüngliche Harmonie kann jedoch mit der Bitte um Vergebung wieder hergestellt werden.
Ho'oponopono heißt das Vergebungsritual, das dieses Ungleichgewicht wieder ins Lot bringt. Das Hawaiian Dictionary bezeichnet es als „Familienkonferenz, in der zwischenmenschliche Beziehungen durch Gebet, Aussprache, Schuldbekenntnis, Reue und gegenseitige Vergebung wiederhergestellt werden“. Dies führten oft Gebets- oder Kräuterheiler durch. Mittlerweile wurde Ho'oponopono auch an moderne Methoden angepasst, so dass man es auch alleine durchführen kann – quasi als Selbsthilfe-Therapie, in der man alles auf null zurück setzt, sich selbst heilt und dadurch auch seine Umwelt.
Auch wenn der Dalai Lama mit seiner Philosophie – im Gegensatz zu den friedlichen Protesten seines Vorbildes Mahatma Gandhi – wenige Erfolge erzielen konnte und er dafür auch
kritisiert wurde, lohnt doch ein Nachdenken über friedliche Alternativen. Und auch wenn es im Moment, gerade was den Nahost-Konflikt betrifft, vielleicht reine Utopie bleibt, alles auf den Nullzustand zurück zu setzen, so könnte es ein erster, kleiner Schritt in eine bessere Gesellschaft sein, wenn sich Politik wieder mehr an Aussöhnung und Vergebung orientiert als an Vergeltung. Denn nicht nur der Dalai Lama ist überzeugt: „Die
Hoffnung auf Frieden hört nie auf.“