VON CLEMENS POKORNY | 22.12.2014 13:59

Ein nobler Preis? Die EU und der Friedensnobelpreis

Der Friedensnobelpreis war als die politischste unter den renommierten schwedisch-norwegischen Auszeichnungen schon immer umstritten. Doch die Entscheidungen der letzten Jahre werfen die Frage auf, ob das Nobelkomitee überhaupt noch im Sinne Alfred Nobels agiert. Während etwa einerseits bestritten wird, dass die EU für den langjährigen Frieden in Europa zu würdigen sei, wird andererseits auch deren Außenpolitik von einigen Friedensnobelpreisträgern nicht als preiswürdig erachtet.

Der Friedensnobelpreis soll laut seinem Stifter Alfred Nobel († 1896) an denjenigen vergeben werden, „der am meisten oder am besten auf die Verbrüderung der Völker und die Abschaffung oder Verminderung stehender Heere sowie das Abhalten oder die Förderung von Friedenskongressen hingewirkt“ und damit „im vergangenen Jahr der Menschheit den größten Nutzen erbracht“ hat. In einer Zeit, da Geschichte noch als Geschichte großer Männer begriffen wurde, war es verständlich, nach Einzelpersonen als Anwärtern auf diese Auszeichnung suchen zu lassen. Das zuständige Komitee zeichnete allerdings schon früh Organisationen aus, die als solche natürlich viel mehr zum Frieden in der Welt beitragen können als Einzelkämpfer – insgesamt fast jeder fünfte Friedensnobelpreis ging an Institutionen, wie z.B. das Internationale Komitee vom Roten Kreuz.

Jean-Claude Juncker als EU-Kommissionspräsident

Die Entscheidungen des Nobelkomitees sind in den letzten Jahren besonders stark kritisiert worden, weil sie nicht im Sinne des Preisstifters gefallen seien. US-Präsident Barack Obama etwa wurde 2009 „für seine außergewöhnlichen Bemühungen, die internationale Diplomatie und die Zusammenarbeit zwischen den Völkern zu stärken“ geehrt. Als die Nominierungsfrist ablief, war Obama noch nicht einmal zwei Wochen im Amt und bei der Zuerkennung des Preises kein Jahr. Das Foltergefängnis Guantanamo besteht entgegen seinem Versprechen noch immer, und noch immer sind zehntausende US-Soldaten als Besatzungsmacht in Afghanistan stationiert. Gemessen an den Vorgaben Alfred Nobels hat Obama den Friedensnobelpreis nicht verdient.

Auch hinter die jüngste Entscheidung für die 17-jährige Malala Yousafzai (2014) kann man ein dickes Fragezeichen setzen. Keine Frage: Sie hat mit bemerkenswertem Mut von 2009 bis 2012 von Gräueltaten der Taliban in ihrer pakistanischen Heimat in einem Blog berichtet und wurde deshalb Opfer eines Anschlags der Terroristen, den sie nur knapp überlebte. Doch ist das schon eine nobelpreiswürdige Leistung? Es drängt sich der Eindruck auf, dass der Preises an Malala primär aus symbolischen Gründen verliehen wurde: Sie soll von einer der wichtigsten moralischen Institutionen der Welt zum Vorbild für andere junge Gegner von Fundamentalismus und Gewalt gemacht werden. Letztlich war die Preisvergabe auch bequem: Malala hatte schon andere international renommierte Auszeichnungen erhalten, ohne dass dies vernehmlich hinterfragt worden wäre, und mit Kritik an dieser Entscheidung war nicht zur rechnen, weil die Haltung des Mädchens nicht ernstzunehmend kritisiert werden kann.

Am umstrittensten war in den vergangenen Jahren wohl die Verleihung des Friedensnobelpreises an die Europäische Union (2012). Die drei Friedensnobelpreisträger Mairead Maguire (1976), Adolfo Peréz Esquivel (1980) und Desmond Tutu (1984) kritisierten die Vergabe an die EU in einem offenen Brief an Stockholmer Nobelstiftung u.a. mit folgender Begründung: „Die EU strebt nicht nach der Verwirklichung von Nobels globaler Friedensordnung ohne Militär. Die EU und ihre Mitgliedsländer gründen kollektive Sicherheit weit mehr auf militärischen Zwang und die Durchführung von Kriegen als auf die Notwendigkeit eines alternativen Herangehens (...)“. Es ließe sich präzisieren: „Die EU“ betreibt noch gar keine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP), weil ihre Mitgliedsstaaten ihre auswärtigen Interessen viel zu wenig aufeinander abstimmen. Frieden und friedensfördernde Prozesse interessieren die EU aber tendenziell nur insoweit, als ihre Wirtschaftsinteressen nicht gefährdet werden – über Menschenrechtsverletzungen in wichtigen Partnerländern (z.B. Saudi-Arabien) sieht man daher gerne hinweg. Das Diktat der Finanzen lässt die EU schließlich ihre Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit zusammenstreichen – auch eine alles andere als friedensfördernde Maßnahme. Wie aber hat das Nobelkomitee seine Entscheidung eigentlich begründet? Die EU, so das Komitee, hätte mit ihrer Politik bzw. derjenigen ihrer Vorgängerorganisationen seit 1952, also sechzig Jahre lang, zum Frieden in Europa beigetragen. Über die vielfältigen Gründe für den weitgehenden Frieden in Europa seit Ende des 2. Weltkriegs wird freilich gestritten. Der US-Politologe John J. Mearsheimer führt ihn übrigens auf den (nach seiner Darstellung segensbringenden) Einfluss des imperialistischen Weltpolizisten USA zurück, der – zur Freude der Europäer (!) – seit 1945 in Europa präsent sei, nicht zuletzt durch die von den USA dominierte NATO, und so, quasi als neutraler Wächter, die europäischen Staaten mit verschiedenen Aufgaben beschäftige, sodass sie gar keine „Zeit“ hätten, sich gegenseitig zu bekriegen (!). Was man auch immer von dieser US-zentrierten Perspektive halten mag: Dem inneren Frieden in Europa steht eine oftmals nicht friedensfördernde bis aggressive Außenpolitik der EU-Staaten gegenüber. Das Nobelkomitee hat diese Dimension bei seiner Entscheidung offenbar ausgeblendet.

Aus den diskutierten Preisvergaben lässt sich ableiten, dass die Vergabe des Friedensnobelpreises sich erstens am politischen Mainstream orientiert und zweitens – entgegen der Vorgabe Alfred Nobels – Zeichen für die Zukunft setzen statt Leistungen der Vergangenheit honorieren will. 2009 setzte die Welt beispielsweise große Hoffnungen in den ersten schwarzen US-Präsidenten, und das Nobelkomitee wollte Obama offenbar geradezu dazu zwingen, nobelpreiswürdig zu regieren, indem es ihn gleichsam vorab für preiswürdig erklärte. Mit solchen wie den oben besprochenen Entscheidungen schwingt sich die Osloer Jury zu einem (nicht-gewählten) politischen Akteur auf. Das muss man nicht schlecht finden – im Sinne der zitierten Vorgaben Alfred Nobels ist es aber nicht.