VON Marie-Thérèse
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30.11.2014 19:06
“Stell dir vor, es ist Krieg” – Pazifismus in Deutschland
“Stell dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin.” Dieser berühmte Slogan der Friedensbewegung aus dem Deutschland der 80er Jahre ist hierzulande vielen nicht mehr geläufig und die Annahme, dass das Protest-Verhalten einzelner Kriege verhindern kann, scheint in weite Ferne gerückt. Es hat sich also in den vergangenen Jahrzehnten einiges verändert in der Haltung der Deutschen zu Krieg und Frieden. Doch wie genau ist die historische Entwicklung? Und was ist eigentlich Pazifismus?
“Stell dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin.” Diese Parole stammt aus der Zeit des Pazifismus im Nachkriegsdeutschland der 80er Jahre und dürfte nicht mehr allen Lesern geläufig sein. Er stammt aus der Zeit, als Anhänger der Friedensbewegung gegen den Nato-Doppelbeschluss auf die Straße gingen. Der Nato-Doppelbeschluss vom 12.Dezember 1979 sah vor, dass Westeuropa zum einen mit Atomsprengköpfen (u.a. des berüchtigten Typus “Pershing II”) neu aufgerüstet werden sollte, zum anderen die atomaren Waffensysteme der betroffenen Staaten – mit Ausnahme der Nationen Frankreich und England – auf Mittelstreckenwaffen mit einer Reichweite bis zu 5500 km beschränkt bleiben sollte.
Mit Waffengewalt gegen Unbewaffnete
Die Festung Europa - Frontex macht die Grenzen dicht
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Das Wettrüsten im Kalten Krieg
Vorausgegangen war diesem Beschluss die zunehmende Anspannung zwischen den Großmächten USA und Sowjetunion, die sich in der Logik einer Abschreckungs- und Vergeltungspolitik der Westmächte – allen voran der USA – gegenüber der Sowjetunion äußerte. Mit anderen Worten: Man fürchtete nicht nur die Ideologie des Kommunismus, sondern auch den Kadergehorsam der seit 1955 mit Atomwaffen versorgten Staaten des Warschauer Paktes. Im Laufe der 60er Jahre rüstete die Sowjetunion mit Langstreckenraketen und Wasserstoffbomben nach, so dass es in den Jahren des so genannten
Kalten Krieges zwischen 1947 und 1989 zu einem bedrohlichen militärischen Wettrüsten zwischen den Großmächten kam.
Hingehen? Vom Krieg als Mitmach-Option
Der recht einprägsame Spruch “Stell dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin” prangte in der BRD der frühen 80er Jahre auf zahlreichen Aufklebern und Hauswänden. In sich stimmig und durchaus mehrheitsfähig zierte er Schulränzen, Autokarosserien, Jugendzentren und Transparente vor besetzten Häusern. Aber was meinte der Spruch eigentlich und weshalb mutet er heute nicht mehr aktuell, ja geradezu naiv an? Zunächst: Der Krieg, an dem niemand teilnimmt, ist eine alte Friedensphantasie, die schon Dichter der griechischen Antike wie Sappho oder Aristophanes zum Ausdruck brachten. Allerdings ist es bei der Schaffung von Frieden durch Kriegsboykott bislang bei einer unverwirklichten Sehnsucht geblieben. Doch weshalb eigentlich? Die Antwort ist ebenso banal wie ernüchternd: Kriege kommen meist von außen, so dass der einzelne nicht vor die Wahl gestellt wird, ob er – wie etwa zu einer Friedensdemo – hingehen möchte oder nicht. Zum anderen gilt auch: Es hat stets vitale nationale und ökonomische Interessen für Kriegsführung bzw. die Herbeiführung kriegsähnlicher Zustände gegeben. Ob dann noch jemand “hingeht” oder nicht, ist irrelevant. Der Krieg findet eben statt, meist zum wirtschaftlichen und strategischen Vorteil derer, die ihn führen, selten zu deren Nachteil.
Älter als die beiden Weltkriege: der Pazifismus
Doch was bedeutet eigentlich Pazifismus? Wo liegen seine Wurzeln? Wie steht es heute um diese Bewegung? Interessant ist zunächst, dass der Begriff des
Pazifismus bereits vor dem Ersten Weltkrieg entstand, als sich Mitte des 19. Jahrhunderts im Rahmen bürgerlich-liberaler Emanzipationsbewegungen in Europa und den USA organisierte Friedensbewegungen bildeten. In Deutschland war
Alfred Hermann Fried, ein Freund der berühmten Friedensaktivistin
Bertha von Suttner, einer der ersten, der den Pazifismus propagierte. Er gründete 1892 die
Deutsche Friedensgesellschaft sowie, gemeinsam mit Bertha von Suttner, die nach deren Roman benannte Monatszeitschrift “Die Waffen nieder!” und erhielt 1911 gemeinsam mit dem Niederländer Tobias Asser den Friedensnobelpreis. Doch Fried und Suttner stehen nicht allein mit ihrem Anliegen. Allen Pazifisten ist gemein, dass sie das Austragen bewaffneter Konflikte und daraus abgeleitet meist auch jede Art von Gewalt, Kriegsdienst und militärischer Intervention ablehnen. Der Pazifismus findet sich als historische Konstante in fast allen Religionen und Kulturen der Welt. Berühmte Vertreter des Pazifismus sind: Carl von Ossietzky, der als couragierter Journalist und dezidierter Gegner der Nationalsozialisten 1935 den Friedensnobelpreis erhielt, Mahatma Gandhi, der die Form des passiven Widerstands zur Durchsetzung pazifistischer Forderungen begründete, und nicht zuletzt Jesus Christus.
Spielarten und Missverständnisse
Doch die Spielarten des Pazifismus sind vielfältig. Allein in Westeuropa gibt es historisch und politisch bedingt zahlreiche Formen des Pazifismus. Beispielsweise lässt sich ein christlich motivierter einem säkular motivierten Pazifismus gegenüberstellen: Während der säkulare Pazifismus sich meist auf die Ideen der Französischen Revolution stützt, fordert der konservativ-christliche Pazifismus nicht die Gleichheit und Einheitlichkeit der Lebensformen, sondern strebt stattdessen das Ideal des Friedens innerhalb einer hierarchisch gegliederten Gesellschaftsordnung an.
Strukturelle Probleme, die die Friedensbewegung bis heute nicht abschütteln konnte, sind ihr Mangel an politischer Schlagkraft und ihre ideologische Unbestimmtheit, die es erlaubt, dass sich unter ihrem Dach zahlreiche kleine Splittergruppen wie Systemkritiker, Anarchisten, Feministen oder freikirchliche Apokalyptiker befinden, und damit dem generell zu befürwortenden Anliegen des “
Weltfriedens” häufig leider die politische Seriosität nehmen.