VOM JASCHA SCHULZ
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13.11.2015 15:36
Urban Commons – Ein Weg zu mehr Selbstbestimmung der Stadtbevölkerung?
Der Begriff des Allgemeinwohls wirft viele Fragen auf: Wer definiert, was ein Wohl für die Allgemeinheit ist? Wie kann die Allgemeinheit erreicht werden? Wie kann in unserer größtenteils marktorientierten Gesellschaft das Allgemeinwohl überhaupt eine Rolle spielen? Das Konzept der Urban Commons soll eine Antwort auf diese Fragen liefern. Dieses sieht vor, dass Bürgerinnen und Bürger selbst entscheiden, was mit ihrem Lebensraum passiert und wie die vorhanden Ressourcen genutzt werden. UNI.DE präsentiert Beispiele der Urban Commons und diskutiert Chancen und Probleme, die bei der Umsetzung entstehen können.
Der zunehmende Hang zur Privatisierung öffentlicher Güter wird von vielen kritisch betrachtet. Denn private Investoren folgen dem Prinzip der maximalen finanziellen Wertschöpfung, was häufig zu einer exklusiven Nutzung der Güter führt. Was eigentlich eine Bereicherung für die Allgemeinheit sein sollte, nutzen dann einige wenige, die die größte Kaufkraft besitzen. Dies wiederum verstärkt soziale Ungerechtigkeiten. Die Nutzung von Ressourcen sollte sich nach Meinung vieler deshalb am Gemeinwohl und nicht an den Regeln des Markts orientieren.
In der Diskussion über die Lösung dieses Problems spielt die Idee der Urban Commons eine immer größere Rolle. Grundlegend für diese ist, dass die Bevölkerung selbst über die Verwendung von Ressourcen entscheiden und ihre Vorhaben in Zusammenarbeit mit den Behörden umsetzen. Die Gestaltung der Umwelt soll auf diese Weise von denen vorgenommen werden, die auch tatsächlich von ihr betroffen sind. Auf diesem Weg könnten Bedürfnisse befriedigt werden, die von der Stadt vernachlässigt wurden. Das Problem der Intransparenz privatwirtschaftlicher Prozesse wäre ebenfalls gelöst und die demokratischen Strukturen somit gestärkt.
Notwendig ist hierfür natürlich, dass die Stadt ihrer Bevölkerung Freiraum zu eigenen Gestaltung gewährt. Außerdem ist eine gemeinsame Zusammenarbeit von Behörden mit den Bürgerinnen und Bürgern notwendig. In jüngster Zeit gibt es deshalb vermehrt Forderungen, ein institutionelles Forum einzurichten, in dem etwa die Stadtplanungsbehörde mit Initiativen aus der Bevölkerung kommuniziert und gemeinschaftlich Projekte umsetzt. Dies würde etwa verhindern, dass städtische Behörden Freiwillige als kostenlose Arbeitskräfte ausnutzen würde, auf die sie die Stadtplanung abwälzen kann.
Transition Town
Um für den Peak Oil gewappnet zu sein, wird ein genereller Wandel angestrebt: Die Stadt soll sich von der ölabhängigen Region zum autarken System entwickeln. Auch in den Köpfen der Leute soll dieser Wandel von statten gehen
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Für Projekte, die auf der Idee der Urban Commons aufbauen, sind Regeln allerdings unerlässlich. Es muss festgelegt sein, wer das Gemeingut nutzen darf und in welchem Rahmen das Projekt organisiert werden soll. Es ist ein Unterschied, ob nur der Fußweg einer bestimmten Wohngegend oder die gesamte Stadt als Ressource genutzt werden soll. In jedem Fall soll durch das gemeinsame Erarbeiten von Nutzungsstrategien eine soziale Bindung innerhalb der Bevölkerung geschaffen werden, die durch das spätere gemeinsame Nutzen auch weiter gefestigt wird.
Die
am häufigsten angewandte Variante des Urban Commoning stellt das
Urban Gardening oder das Urban Farming dar. Hierbei schließen sich mehrere Menschen zusammen, um gemeinsam eine zumeist landwirtschaftliche Nutzfläche zu bebauen und sich auf diese Weise in einem gewissen Rahmen selbst zu versorgen.
In Paris hat man in dem Atelier d’Architecture Autogérée
das Urban Gardening mit dem Gedanken des autonomen, alternativen Wohnens verbunden. Über 400 Menschen wohnen mittlerweile in der Anlage und sind für deren Gestaltung selbst verantwortlich. Die Anlage verfügt über eine Mikrofarm und über eine Recyclinglage, beides wird ausschließlich von den Wohnmitgliedern betrieben.
Ein besonders interessantes Projekt, der Campo des Cebada, wird bereits seit längerem in Madrid realisiert. Hierbei schloss sich eine Gruppe von Architekten mit einer Gruppe Ansässiger zusammen. Gemeinsam hauchten sie einem stillgelegten Gelände neues Leben ein und schufen ein öffentliches kulturelles Zentrum. Allerdings ist am Beispiel des Campo de Cebada auch zu sehen, wie schwierig es ist, unter den gegebenen Bedingungen eine solche Initiative aufrecht zu erhalten. Die Verantwortlichen fühlen sich den Verpflichtungen und der Anstrengung mittlerweile nicht mehr gewachsen. Dies verdeutlicht die Notwendigkeit solche Initiativen direkt in die offizielle Stadtplanung miteinzubeziehen, um die organisatorische und finanzielle Unterstützung der Behörden zu gewährleisten.
Auch in Deutschland werden die verschiedenen Möglichkeiten des Urban Commoning diskutiert. In Berlin fand diesen Sommer das
Make City Festival statt, bei dem verschiedene Varianten der Urban Commons vorgestellt und erörtert wurden. Eine Stadt sollte nach Meinung der Veranstalter stets als
kollektives Allgemeingut angesehen werden, weshalb diese auch im kollektiven Prozess gestaltet werden müsse. Die Verbindung von Wohn- und Arbeitsraum, die Einrichtung sozialer Ökosysteme und insgesamt die Rückgewinnung gemeinschaftlicher urbaner Flächen waren Kernpunkte des Festivals.
Eine weiteres spannendes Projekt, die
Universität der Nachbarschaften (UdN) , wurde von Studierenden der Hafen City Uni ins Leben gerufen. Diese nutzten das Gebäude des ehemaligen Gesundheitsamts in Hamburg-Wilhelmsburg, um einen Begegnungsort unterschiedlicher Kulturen darzustellen und verschiedene Lehrveranstaltungen für Studierende und Interessierte abzuhalten. Die Fragen kreisten darum, wie leerstehender Wohnraum für die Gemeinschaft gewinnbringend genutzt werden kann. Im Rahmen des Projekts wurden etwa freie Plätze der Elbinsel für Workshops zur Musikimprovisation für Laien angeboten, aus denen sogar einige kleine Konzerte hervorgingen. Das Motto der UdN: Nachhaltigkeit entsteht nicht nur mit und aus Dingen, sondern vor allem aus Beziehungen, aus Nachbarschaft.