VON LISI WASMER
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28.08.2013 16:08
Curitiba – Stadt mit System
2014 schaut die Welt auf Brasilien. Dann wird unter dem Motto „Alle im gleichen Rhythmus“ die 20. Fußball-Weltmeisterschaft angepfiffen. Einer der insgesamt zwölf Austragungsorte ist Curitiba, Hauptstadt des Bundestaates Paraná im Süden des Landes. Aber auch abseits von Fußballfans und bunten Fähnchen ist die knapp zwei Millionen Einwohner starke Großstadt durchaus beachtenswert. Denn als sich die Stadtplaner in den frühen 1970er Jahren mit der Entwicklung weg von Agrikultur und Viehhandel hin zu einer immer stärkeren Ausbreitung der Industrie und einem immer rascheren Populationszuwachs konfrontiert sahen, entwickelten sie ein ökologisch-infrastrukturelles Gesamtsystem, das bis heute als vorbildhaft für die Verknüpfung von Urbanität und Nachhaltigkeit gilt.
Wende in Brasilien?
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Eigentlich sollte die Fußball-Weltmeisterschaft einen hohen Wert für das Image des Austragungslandes haben. Es ist die Gelegenheit, sich vor der Welt zu präsentieren, in einem sportlichen, ungezwungenen Rahmen. Für Brasilien lief diese Image-Kampagne bis jetzt aber nur bedingt gut an: Meldungen über Zwangsumsiedlungen in den Austragungsstädten, Berichte über Stadien, die bis zum Anpfiff 2014 nicht fertig werden sollen – da ist es gut, wenn es Städte wie Curitiba gibt. Denn unabhängig vom Fußball macht die Großstadt vor allem durch ihre innovative Stadtplanung von sich reden.
Ein kollektiver Traum
Die große Ikone ist hier zweifelsohne Curitibas früherer Bürgermeister Jamie Lerner, der vor mehr als 40 Jahren gemeinsam mit seinen Beamten den Startschuss für die Umgestaltung hin zu einer ökologisch wie infrastrukturell vorbildlichen Stadt gab – als Reaktion auf die wachsenden Probleme aufgrund des raschen Bevölkerungsanstiegs. Sein Markenzeichen: innovative, preisgünstige und dauerhafte Lösungen. „Wenn Du Kreativität willst, streiche eine Null von Deinem Budget. Wenn du Nachhaltigkeit willst, streiche noch eine Null“, erklärt er im
Interview mit Gelareh Darabi von Al Jazeera. Man brauche nicht unbedingt viel Geld. Man brauche nur Leute, denen die Umwelt nicht egal ist. Es sei ein kollektiver Traum, der hier verfolgt werde. Und eine Möglichkeit zur gemeinsamen Verantwortungs-Übernahme.
Das Paradebeispiel für eine gelungene Stadtplanung mit kleinem Budget ist das Bussystem in Curitiba. Fünf Highways führen von den Vororten ins Stadtzentrum, Ringstraßen bilden ein Verkehrsnetz um die ganze Stadt. Die Busse sind für je 270 Fahrgäste ausgelegt, ihnen wird Vorrang im Straßenverkehr eingeräumt, was sich positiv auf die Pünktlichkeit auswirkt. Alle 90 Sekunden hält ein Bus an jeder Haltestelle. Das gute Angebot zahlt sich aus: 70 Prozent des gesamten Pendlerverkehrs fällt auf öffentliche Verkehrsmittel, Staus werden reduziert, ebenso wie die Umweltverschmutzung durch Abgase. Ganz ohne U-Bahn, die sich die Stadt gar nicht leisten könnte, wie
Jonas Rabinovitch vom UN Development Program erklärt: „Es gibt dieses Dogma, dass jede Stadt mit mehr als einer Million Einwohner eine U-Bahn benötigt. Aber es gibt keinen zwingenden Zusammenhang dazwischen, wie eine Stadt wächst und wie sie sich fortbewegt.“ Außerdem haben Curitibas Busse einen entscheidenden Vorteil gegenüber U-Bahnen: Je nach Bedarf können die Routen schnell und flexibel an eine steigende oder sinkende Nachfrage angepasst werden.
Recycling 2.0
Ein anderes von Lerner auf den Weg gebrachtes Projekt ist „
Green Swap System“. Schlecht verdienenden Haushalten wird hier im Austausch gegen Recyclingprodukte frisches Obst und Gemüse gegeben. Alle zwei Wochen bringen sie Flaschen, Zeitungen und Plastikabfälle zu designierten Abholstellen. Zurück bringen sie Kartoffeln, Tomaten, Bananen. Lebensmittel, die sie sich sonst nicht leisten könnten. Die Stadt wird sauberer, die Menschen ernähren sich gesünder; auf den Wertstoffhöfen werden zum Sortieren neue Arbeitsplätze geschaffen. Außerdem spart sich die Stadt, ihre LKW zum Entleeren von Containern fahren zu lassen. Der Müll kommt zu ihnen. Das spart Benzin und schont die Umwelt.
„Grün“ ist die Stadt aber nicht alleine auf dem Papier. Auf jeden Einwohner kommen über 50 Quadratmeter Parkanlagen. Sie dienen nicht nur dem Stadtbild. Curitiba liegt auf einer Hochebene. Anstatt das Wasser durch kostspielige Stauanlagen am Abfließen zu hindern, wurden kurzerhand natürliche Wasserstraßen angelegt. Und die Rasenflächen? Werden von eigens dafür gehaltenen Schafherden abgegrast. Ihre Wolle wird verkauft, die Einnahmen gehen an Kinderprogramme.
Curitiba im Fokus der Fußballwelt
Es sind diese ganzheitlichen Lösungen, für die Curitiba zu Recht den Ruf eines Aushängeschilds der Nachhaltigkeitspolitik in Brasilien inne hat. Die Vorbildfunktion birgt auch wirtschaftliche Vorteile. So werden im ortsansässigen Volvo-Werk etwa Busse nach Curitiba-Beispiel für Millionenstädte gefertigt: Mit viel Platz für Fahrgäste und einem niedrigen Benzinverbrauch. Natürlich gibt es aber auch hier noch offene Baustellen wie beispielsweise den Ausbau der Fahrradwege, für den sich die Vereinigung „Ciclo Iguaçu“ einsetzt. Oder eben die Offensichtlichste: Denn auch das
Curitibaner Fußballstadion für die Weltmeisterschaft 2014 ist erst zu drei Vierteln fertiggestellt.