VON JOACHIM SCHEUERER | 28.06.2013 14:19

Wende in Brasilien?

Brasilien steht im Finale des Confederations Cup. Doch die brasilianische Bevölkerung hat dieser Tage etwas anderes als Fußball im Kopf. Der Confederations-Cup sollte die große und glanzvolle Generalprobe zur Fußball-WM nächstes Jahr werden. Stattdessen wurde er zusammen mit den Preiserhöhungen im Nahverkehr zum buchstäblichen Funken, der das Feuer des Unmuts zum Ausbruch und das brasilianische Volk auf die Straße brachte. Die größten Demonstrationen seit 20 Jahren erwecken dabei den Anschein, als könnten sie tatsächlich fundamentale Veränderungen herbeiführen und sind ein eindrucksvolles Beispiel für das Gelingen demokratischer Partizipation von Zivilbevölkerungen, welches optimistisch stimmt.

Zu groß war der brasilianischen Mittel- und Unterschicht die Diskrepanz zwischen milliardenschweren Ausgaben von Steuergeldern für neue Sport-Stadien und Infrastruktur einerseits und verheerenden Missständen im Bildungs- und Gesundheitssystem andererseits. Dabei hatte sich Brasiliens Regierungschefin Dilma Rousseff nachhaltige und wesentliche Verbesserungen für die Lebensqualität ihres Volkes von der WM und den Olympischen Spielen erhofft. Doch jenes erkannte die kurze Haltbarkeit und Oberflächlichkeit dieser Pläne, welche die wahren Probleme nicht beseitigen können würden.

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Die neue Grassroots-Revolution welche sich aus diesem Grund vor gut zwei Wochen formierte, scheint dabei im Unterschied zu vergeichbaren anderen Protestbewegungen der vergangenen Monate und Jahre überraschender- und glücklicherweise auch mit langfristigem Erfolg gekrönt zu sein.

So bemüht sich die selbst protesterprobte, ehemalige Guerillakämpferin Rousseff derzeit um Entspannung der Lage, sowie um erste Signale an die Demonstranten in Form eines Reform-Referendums und neuer Gesetze. Diesbezüglich wurde im Senat bereits ein Gesetz beschlossen, welches Korruption von nun an auf eine Stufe mit Mord und Vergewaltigung stellt. Ein Abgeordneter des Obersten Gerichtshof, der Steuereinnahmen seit Jahren auf das eigene Konto gewirtschaftet hatte, musste auch sogleich die Konsequenzen ziehen und wurde festgenommen. Desweiteren wurde ein seit Jahren diskutiertes Gesetz, mithilfe dessen 75 Prozent der Linzenzeinnahmen aus dem Ölgeschäft unmittelbar dem Bildungssektor zugute kommen sollen und die verbleibenden 25 Prozent dem Gesundheitswesen, innerhalb weniger Tage im Parlament durchgewunken. Und auch die Preiserhöhungen im Nahverkehr wurden wieder rückgängig gemacht.

Getan ist es damit sicherlich noch lange nicht. Dafür sind die Ungleichheiten in Brasilien zwischen arm und reich, bei den Bildungschancen und in der Grundversorgung einfach zu flächendeckend. Umso wichtiger sind konkrete und einheitliche Forderungen und Handlungsvorschläge, deren Fehlen der Protestbewegung unlängst vorgeworfen wurde. Bei allen inhaltichen Überschneidungen spalten sich die Demonstranten nämlich in ein vielschichtiges Patchwork unterschiedlicher lokal und regional motivierter Interessensgruppen auf, die zum Teil für unterschiedliche Dinge demonstrieren. Diesem Umstand versuchte jüngst "Anonymous Brasil" Abhilfe zu verschaffen, indem die Aktivistengruppe ein Youtube-Video veröffentlichte, wo die Ziele der Bewegung auf fünf Punkte heruntergebrochen werden sollen. Neben der Eindämmung von Korruption bei der Polizei und im Kongress, wird darin der umgehende Rücktritt des der Veruntreuung bezichtigten Senatspräsidenten Renan Calheiros gefordert, sowie die Aufklärung finanzieller Betrügereien im Rahmen der Stadionbauten. Außerdem soll die privilegierte juristische Behandlung von Politikern, unter Berufung auf den 5. Artikel der brasilianischen Verfassung zur Gleichheit aller Menschen, abgeschafft werden.

Brasilien ist jener Gleichheit in diesen Tagen einen wichtigen Schritt näher gekommen und das auch nicht zuletzt aufgrund einer Regierung, die anders als Erdogan in der Türkei, an echten Reformen im Namen des Volkes interessiert zu sein scheint.