VON SUSANNE BREM | 16.05.2017 11:47

Vom unbeachteten Problemviertel zum gehypten Trend-Kiez: Was bedeutet Gentrifizierung für Städte und deren Bewohnerschaft?

Gentrifizierung ist kein neues Phänomen mehr. Seit Jahrzehnten ist in Großstädten der Wandel ruhiger, ärmlicher Gegenden zu beliebten, schicken Bezirken zu beobachten. Die Anwohnenden, die Mietpreise, das kulturelle Angebot, die Infrastruktur: Der Aufstieg zum Szeneviertel zieht in quasi allen Bereichen vor Ort Veränderungen nach sich. Vom ursprünglichen Kiez ist nach einigen Jahren dann oft nicht mehr viel übrig – sehr zum Leidwesen der Alteingesessenen. Woraus entsteht die Dynamik der Gentrifizierung? Wohin führt sie? Und lässt sich dieser Prozess einschränken oder umlenken?

Der Begriff der Gentrifizierung wurde in den 60er Jahren von der Soziologin Ruth Glass geprägt. Er leitet sich vom englischen „gentry“ (= niederer Adel) ab und zielt heute auf die wirtschaftliche und gesellschaftliche Veränderung eines Stadtteils ab: die Entwicklung von einer ärmeren hin zu einer statushöheren, finanzstarken Bewohnerschaft. Dieser Wandel verläuft allmählich und über viele Jahre hinweg. Betroffen sind vor allem innerstädtische, zentrale Gegenden.

Vier Stufen bis zum Szeneviertel

Fachleute machen im Groben vier Phasen aus. Die Ausgangssituation ist in der Regel gekennzeichnet durch viele leerstehende Wohnungen, sanierungsbedürftige Gebäude, daher niedrigen Mieten und einer breiten kulturellen Vielfalt und Inhomogenität des dort lebenden Bevölkerungsteils. Diese Bedingungen ziehen Auszubildende, Studierende, Kunstschaffende und Aussteiger-Typen an – Menschen also, die zwar gute Bildung und Kreativität mitbringen, finanziell aber schlecht aufgestellt sind und sich kein anderes Viertel leisten können. Mit dem neuen Klientel dieser „Pioniere“ zeigen sich bald die ersten langfristigen Veränderungen im kulturellen Angebot und auf dem Wohnungsmarkt: Leerstände füllen sich, es eröffnen Bars, Kneipen, Kultureinrichtungen, Dienstleistungsunternehmen usw. Die schöpferische Kraft der Zugezogenen entfaltet sich.

Mit diesen Entwicklungen ziehen immer weitere Pioniere und die ersten „Gentrifier“ her: Diese werden durch das bereits bestehende kulturelle Angebot ebenso auf den Plan gerufen, suchen aber langfristigen Wohnraum als Investition und Kapitalanlage. Modernisierungen und Sanierungen beginnen, wodurch die Boden- und Mietpreise steigen. Medien werden auf das wachsende Angebot aufmerksam und tragen wiederum zur zunehmenden Bekanntheit bei. Ehemals unbeachtet ist das Viertel mittlerweile zum beliebten und belebten Wohn- und Lebensraum herangewachsen.

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Modernisierung und Verdrängung

Im dritten und eigentlichen Gentrifizierungsschritt wird das aufpolierte Image von Investoren und Gentrifiern ausgenutzt. Sie treiben den Modernisierungsprozess zu ihrem Vorteil voran und versuchen, mit Luxussanierungen und dem vermehrten Verkauf von Eigentumswohnungen finanziellen Gewinn herauszuschlagen. Das gesamte Bild des Quartiers verändert sich: Die kulturelle Vielfalt schwindet, Kneipen und Bars reduzieren sich, von der Koexistenz verschiedener Schichten bleibt wenig, wohlhabende Berufstätige dominieren die Anwohnerschaft. Die Pioniere und Alteingesessenen sind längst verdrängt durch die hohen Grund- und Mietpreise. Das finale Ergebnis: Das erblühte urbane Szeneviertel gehört nun den statushöheren Bevölkerungsgruppen, teure Eigentumswohnungen dominieren den Markt.

Eine notwendige Entwicklung, um Stillstand zu vermeiden?

Nutznießer dieses Wandels gibt es einige: Die Stadt füllt ungenutzten Wohnraum, Image und Ästhetik betroffener Viertel werden aufpoliert und attraktiver für Touristen und Menschen, die bereit sind Geld auszugeben. Gentrifier profitieren von ihren Kapitalanlagen, Baufirmen von den zahlreichen Aufträgen. Die Infrastruktur verbessert sich, Kriminalität nimmt ab; ein unbelebtes Viertel blüht auf und erwächst zur lebenswerten Oase der Vielfalt und der Möglichkeiten. Nur: Die darauffolgenden Entwicklungen zerstören den Glanz dieses Wandels. Der Schritt von Multikulturalität, Meinungsfülle und sozialer Durchmischung zur Homogenität und Segregation ist der Punkt, an dem gegengesteuert werden muss. Neues, Voranschreiten und Veränderung sind positiv und notwendig; jedoch stets in Austausch und Kombination mit dem Alten und Beliebten, statt zu seiner völligen Beseitigung. Denn: Wenn das, was Vielfalt und Leben schafft, weichen muss, versickern auch Vielfalt und Leben bald wieder; und das lediglich zum Vorteil Einzelner.