VON NORA GRAF | 17.04.2015 18:27

Nachhaltiges Wachstum durch „grüne“ Wirtschaft?

Wirtschaftswachstum gilt immer noch als das oberste Dogma der Industrie. Mit einem steigenden Wachstum erhöht sich jedoch auch der Energieverbrauch und somit auch die Belastung für die Umwelt, so die allgemeine Überzeugung. Ein Bericht der Vereinten Nationen, der Ende letzten Jahres veröffentlicht wurde, behauptet nun, dass Wirtschaftswachstum, Energieverbrauch und Klimaschutz sich miteinander vereinbaren lassen, und zwar durch „grünes Wachstum“.




„Grünes Wachstum“ als Lösung

Laut einer Expertenkommission, die vom UN-Generalsekretär Ban Ki-moon einberufen wurde, schafft gerade der technologische Fortschritt neue Möglichkeiten, sowohl Arbeitsplätze zu schaffen und die Wirtschaft voranzutreiben als auch eine nachhaltige Infrastruktur aufzubauen. Laut dem Vorsitzenden des Ausschusses Felipe Calderón, dem früheren mexikanischen Staatspräsidenten, lasse sich beides vereinen: Die Wirtschaft zu beleben und gleichzeitig den Klimawandel einzudämmen.

Dahinter steht die Idee eines „Grünen Wachstums“. Derzufolge halten Anhänger eine „grüne“ Wirtschaft für möglich, „in der das Bruttoinlandsprodukt steigt, die Umweltschäden aber gleichzeitig abnehmen.“ Konkret heißt das, dass wir dank moderner Technologien unsere Ressourcen und Städte effizienter nutzen können und die daraus resultierenden Energie-Einsparungen zum Teil die Investitionskosten wieder ausgleichen. Um die Umweltschädigung von der Wirtschaftsleistung zu entkoppeln hält der 60 Seiten umfassende Bericht überdies altbekannte Vorschläge bereit: Städte müssten effizienter werden, Wälder als Kohlenstoffdioxid-Speicher erhalten bleiben, Subventionen für fossile Energien nach und nach abgebaut und nicht zuletzt die Preise der Verschmutzungsrechte erhöht werden.

Wenn Unternehmen sich grün waschen

Kritik an der Entkopplungstheorie

Kritische Stimmen halten diese Theorie der Entkopplung, also dass der Klimawandel nicht in gleichem Maße wie das Wirtschaftswachstum steigt, für abwegig. Berechnungen hierzu sind nach Raimund Bleischwitz, der am Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie GmbH tätig war, grundsätzlich schwierig, da Umweltbelastungen immer mehr ins Ausland verlagert werden, und damit oft schon jetzt unabhängig vom Bruttoinlandsprodukt sind. Für den Volkswirt Niko Paech von der Universität Oldenburg stellen sich noch weitere Fragen bei der Entkopplungstheorie: „Wenn man Häuser mit Dämmstoffen dämmt, die extrem hohe Formaldehydemissionen aufweisen und gesundheitsschädlich sind - wie soll man das gegenrechnen? Oder wenn die Abfälle nicht zu entsorgen sind?“ Seiner Meinung nach ist es viel sinnvoller nach globalen Lösungen unter Berücksichtigung aller Ressourcen zu suchen, um mehr ökonomische Anreize zum Energiesparen und zur Schonung von Ressourcen zu geben.

Für Niko Paech gibt es jedoch kein Wachstum – auch kein „grünes“ – das die Umwelt nicht belastet. Trotz aller energieeffizienten Technologien hat der Energieverbrauch 2013 wieder einen neuen Rekordwert erreicht. Das liegt zum einen daran, dass nachhaltige Technologien wie Solar- und Windkraft auch hergestellt werden müssen, und dafür wiederum neue Produktionsstätten erforderlich sind. Und zum anderen daran, dass sich kein nennenswertes Wachstum mehr einstellt, wenn erneuerbare Energieerzeugung flächendeckend vorhanden ist, es sei denn, die Herstellung neuer Anlagen würde immer weiter erfolgen.

Auf Dauer lasse sich Wirtschaftswachstum und eine sinkende Umweltschädigung nicht miteinander vereinbaren. Um eine ökologische Katastrophe zu verhindern, so bekommt man den Eindruck, müssen sich Wirtschaft und Politik wohl allmählich von der Wachstumsgesellschaft verabschieden.