VON CLEMENS POKORNY | 20.11.2015 15:03

Freies Wissen für alle? Über die Idee der Wissensallmende

Vor allem Internetaktivisten sind überzeugt: Das Urheberrecht in seiner jetzigen Form, aber auch Patente bremsen den Fortschritt der Menschheit. Von der Privatisierung von Wissen und Informationen profitieren nur wenige. Anhänger der sogenannten Wissensallmende stellen den herkömmlichen Reglementierungen des Umgangs mit den geistigen Schöpfungen anderer ein alternatives Konzept entgegen.

Information ist alles, stellt Franz Oberhuber alias Ernst Stavro Blofeld im aktuellen James-Bond-Film fest. Und spätestens seit den Enthüllungen Edward Snowdens wissen wir: Eine globale Verschwörung der Geheimdienste als wohl mächtigsten Informationsbeschaffern überhaupt ist keine Ausgeburt der Phantasie größenwahnsinniger Filmschurken (oder überspannter Drehbuchautoren). Informationen und Wissen werden zunehmend privatisiert: Man denke beispielsweise an Saatgutkonzerne, die sich nicht nur genmanipulierte Pflanzen patentieren lassen, sondern (in Entwicklungsländern) sogar uralte Sorten, die von den heimischen Bauern seit jeher kultiviert wurden und für die sie dann Lizenzgebühren bezahlen sollen, nur weil der Konzern das Erbgut der jeweiligen Pflanze entschlüsselt hat. Aber zum Glück gibt es auch Gegenbewegungen. Hinter Projekten wie der Wikipedia, deren Trägerverein Wikimedia das gesamte Wissen der Menschheit zu sammeln und jedem frei zur Verfügung zu stellen bestrebt ist, steht die Idee der Wissensallmende.

Als Allmende (die „Allgemeine“) verstand man im deutschsprachigen Raum jahrhundertelang ein Stück Land, meist eine Viehweide, die nach bestimmten Regeln von allen Bauern bewirtschaftet werden durfte. Dieser Boden gehörte der Gemeinde. Natürlich war eine strenge Reglementierung der Nutzung nötig, um sowohl Über- als auch Unternutzung zu unterbinden. Da die Auflagen nicht selten nicht konsequent befolgt wurden, wurden Allmenden tendenziell stark übernutzt – Ökonomen sprechen von der „Tragik der Allmende“.

Überträgt man den Allmendebegriff vom materiellen Gut „Boden“ auf das immaterielle Gut „Information“, stellt man fest: Zu stark kann Wissen gar nicht genutzt werden. Im Gegenteil: Je mehr Menschen Zugang dazu haben, desto mehr Ideen und Innovationen entstehen. Wie Glück kann Wissen sich verdoppeln, wenn man es teilt. Für die freie Verbreitung des Allmendegutes Information dient im Digitalzeitalter das Internet, da es allen Interessierten einen freien und einigermaßen gleichen Zugang zu seinen kostenlosen Gütern gewährt. Doch um welche handelt es sich da?

Bildung für alle – eine Utopie?

Alle geistigen Erzeugnisse (Texte, Bilder, Musik, Videos u.a.) genießen ab einem gewissen Niveau grundsätzlich Urheberrecht, das nicht – wie Patente – erst beantragt werden muss. Damit ein geistiges Gut zu einer Allmende werden kann, muss die erstellende Person entweder ganz (oder teilweise) auf ihr Urheberrecht verzichten. Doch nicht jeder Mensch will alle Rechte an seinem Werk aus der Hand geben, sondern zum Beispiel nur unter bestimmten Auflagen oder nur einen Teil davon.

Die gemeinnützige Organisation „Creative Commons“ (etwa: „schöpferisches Gemeingut“) stellt seit 2001 standardisierte Verträge bereit, die die Lizenzen geistiger Schöpfungen vorwiegend im Internet definieren. Eine solche Lizenz regelt, unter welchen Umständen ein entsprechendes Werk weiterverwendet werden darf. Creative Commons übernimmt für Kreative also kostenlos die Aufgabe, juristisch wasserdichte Regelungen vorzuschlagen. Solche Lizenzen definieren beispielsweise, (a) dass ein Werk nur unter Nennung des Namens der erstellenden Person (Namensnennung) verwendet werden darf, (b) dass neben der Namensnennung das Werk unter den gleichen Bedingungen vom Verwerter weitergegeben werden soll, auch seine Änderungen also ungeschützt bleiben müssen („Copyleft“), oder auch (c) dass ein Werk nicht verändert werden, sonst aber unter Namensnennung beliebig verwendet werden darf. Nicht alle (Hobby- oder Profi-)Photographen überlassen etwa dem Verein Wikimedia ihre Bilder zur beliebigen Nutzung v.a. in Wikipedia-Artikeln, sondern fordern mitunter, dass ihre Namen bei der Veröffentlichung genannt werden.

Über 350 Millionen Werke sind bereits unter Lizenzen von Creative Commons veröffentlicht worden. Es könnten noch viel mehr sein, wenn es keine rechtlichen Probleme gäbe. Viele schöpferische Werke des 20. Jahrhunderts sind „verwaist“, d.h. es ist nicht klar, wem die Rechte an ihnen derzeit gehören. Deshalb können sie auch nicht zu Wissensallmenden werden und liegen brach. Bei Büchern, Musik, Filmen oder Bildern ist es aber weniger dramatisch, wenn sie nicht genutzt werden können, als bei den eingangs erwähnten Nutzpflanzen oder auch bei Generika (preiswerte Nachahmer-Präparate patentierter Medikamente, bestimmt für die Nutzung in armen Ländern). Doch Informationen sind Geld, und wer mit Wissen Profite macht, verzichtet nicht gerne auf seine ungeteilten Rechte daran. Für den Einsatz zum freien Zugang zu Informationen und für die weitere Verbreitung der Idee der Wissensallmende zum Wohle aller bedarf es natürlich keines Einzelkämpfers wie James Bond. Doch die Effektivität von Zusammenschlüssen wie Wikimedia oder dem Netzwerk Freies Wissen ließe sich noch steigern, wenn mehr Menschen sie unterstützten.