VON NORA GRAF
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13.08.2014 15:37
Späte Sprachentwicklung – geringere Intelligenz?
Spricht man heutzutage über Kinder, so kommt man schwer ohne die vielbeschworene frühkindliche Bildung herum. Kindern möglichst früh geistige, moralische, kulturelle und körperliche Werte zu vermitteln, nimmt eine immer größere Stellung in der Bildungsdebatte ein. Da ist es nicht verwunderlich, wenn bei Eltern sogleich die Alarmglocken schlagen, wenn ihr Kind erst mit 15 Monaten das erste Wort spricht und nicht schon mit zwölf Monaten. Ist dieses Kind nun weniger intelligent? Nein, sagen
Entwicklungspsychologen, das sei kein Grund zur Besorgnis und geben Entwarnung. Jedes Kind ist individuell und daher verläuft auch die Sprachentwicklung bei jedem anders.
Elisabeth erinnert sich noch genau an das erste Wort ihres kleinen Sohnes . Mit zwölf Monaten, als Tim andere Kinder beim Fußballspielen beobachtet, sagt er auf einmal „Ball“. Doch die Entwicklung der Sprache fängt schon viel früher an – manche behaupten, die Kinder trainieren schon im Mutterleib die Sprechwerkzeuge wie Zunge, Lippen und Gaumen, indem sie am Daumen lutschen und Fruchtwasser schlucken.
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Die Entwicklungsschritte
Bei jedem Kind ist die erste Form der Kommunikation der Schrei, wenn es auf die Welt kommt. Das Baby drückt damit seinen Schreck aus, sich an einem fremden Ort, außerhalb der Geborgenheit der Gebärmutter, zurecht zu finden. Von da an äußert es sich in erster Linie durch Geräusche, Jammern oder Weinen, wobei das Baby genau zuhört, nachahmt und auf die Stimme und Geräusche der Eltern reagiert. Das Baby entwickelt schnell ein Repertoire von unterschiedlichen Geräuschen, es probiert aus, was es alles mit dem Mund außer Schreien und Saugen noch so alles anstellen kann. Logopäden bezeichnen diese ersten drei Monate als „
Erste Lallphase“, da die Kinder Töne wie „grr“ oder „guu“ bilden.
Ab dem vierten Monat verbindet das Kind Vokale und Konsonanten miteinander, es brabbelt ganze Monologe lustiger Laute, die es durch den Gebrauch von Zähnen, Zunge, Gaumen und Stimmbändern produziert. Gleichzeitig fangen Babys damit an, bestimmte Sprachmelodien zu verstehen und zu erkennen, ob das Gegenüber fröhlich oder traurig ist – ein großer Schritt auch in der Wahrnehmung der kleinen Kinder.
Ungefähr ab dem sechsten Monat, in der zweiten Lallphase, ist die Aussprache nicht mehr ganz so willkürlich. Klangen vorher alle Babys gleich, egal ob sie in England, Deutschland oder China geboren wurden, so werden die Laute und Sprachmelodien immer differenzierter: Ein deutsches Baby klingt nun auch wie eines. Damit wird auch das Hören immer wichtiger, da das Kind das, was es hört, mit dem abgleicht, was es sagt.
Von da an bis etwa zum zwölften Monat verwendet das Kind schon mehrsilbige Wörter, es verdoppelt Silben (ma-ma-ma, pa-pa-pa), versteht häufig benutzte Wörter und man meint schon, einen gewissen Sinn darin zu verstehen, was das Baby von sich gibt.
Etwa mit einem Jahr bilden die meisten Kinder ihr erstes Wort. „Mama“ oder „Papa“ sind die Klassiker, zur Freude der Elten, was wiederum die Babys motiviert und anregt, neue Wörter zu formulieren. Bis zum zweiten Geburtstag umfasst der Wortschatz der Kinder rund 200 Wörter. Es benutzt diese nun ganz bewusst und weiß, was sie bedeuten. Das Kind versucht dadurch auch immer mehr, seine Bedürfnisse und seine Autonomie auszudrücken.
Die Basis: eine gute Eltern-Kind-Beziehung
Späte Sprecher sind also völlig normal und auch nicht weniger intelligent. Eltern sollten weniger auf die Defizite als auf die Stärken ihres Kindes eingehen und nicht versuchen, das Kind zum Sprechen zu drängen. Im Gegenteil: Sie sollten
jeden Versuch der Kommunikation honorieren, viel sprechen und dabei auch immer Blickkontakt mit den Babys halten. Damit ermuntern die Eltern ihre Kinder vielmehr zum Sprechen und fördern so die Sprachentwicklung. Denn Sprache bedeutet nicht nur die richtigen Wörter zu finden und die Grammatik zu beherrschen, sondern vor allem eine gute Eltern-Kind-Beziehung mit viel Kontakt und Kommunikation.
Elisabeth hat nach Tims erstem Wort alles richtig gemacht und ihn sofort gelobt: „ Ja, das ist ein Ball! Sehr gut!“ Tim ist inzwischen erwachsen und weiß, dass es für die Motivation eines Kindes sehr wichtig ist, gelobt zu werden, denn um Sprechen zu lernen, muss man als Kind schon ziemlich viel leisten.