VON JASCHA SCHULZ | 29.10.2015 19:33

Die strengen Hartz IV Sanktionen für Unter-25-jährige

Jungen Hartz IV Empfängern von 15-25 Jahren werden Sozialleistungen schneller entzogen als älteren. Bereits ein einziges Meldeversäumnis kann bei jungen Menschen die Streichung des kompletten Regelsatzes zur Folge haben. Allerdings vermehrt sich in jüngster Zeit die Kritik an diesem „Erziehungsmodell“. Ein Versuch der Angleichung der Sanktionsmaßnahmen durch das Arbeitsministerium scheiterte jedoch am Widerstand der CSU.

Wer Unterstützung vom Staat erhält, muss gewisse Auflagen erfüllen. Dazu gehören zum Beispiel die Einhaltung von Terminen im Jobcenter oder das Absolvieren bestimmter „Eingliederungsmaßnahmen“, wie zum Beispiel einem Bewerbungstraining. Außerdem müssen Jobs angenommen werden, die von der Arbeitsagentur vorgeschlagen werden, solange kein ausreichender Hinderungsgrund besteht. Versäumt es ein Hartz IV Empfänger, diesen Auflagen nachzukommen, muss er mit Sanktionen rechnen.

Gerade für junge Menschen sind diese Sanktionen besonders hart.

Der Abbruch einer Maßnahme oder das Ablehnen eines Jobs kann für 15-25 jährige Hartz IV Empfänger bereits eine Streichung des Regelsatzes für drei Monate zur Folge haben. Kommt eine zweite sogenannte Obliegenheitsverletzung hinzu, kann dies sogar zum Verlust des Mietzuschusses sowie der Krankenversicherung führen, sofern der Betroffene nicht kostenlos in der Familienversicherung eines Erziehungsberechtigten gemeldet ist.

Zum Vergleich: Älteren Hartz IV Empfängern wird die finanzielle Unterstützung zunächst um 30% und danach um 60% gekürzt, bevor es erst beim dritten Versäumnis zu einem vollständigen Leistungsentzug kommt. Dementsprechend wurden bei jungen Menschen die Förderungen in jüngster Zeit um ein Dreifaches häufiger gestrichen als bei den über 25 Jährigen. Die umstrittenen Regeln werden bereits bei Nicht-Erwachsenen ab 15 Jahren angewandt. 2015 hat die Arbeitsagentur rund 1.500 Jugendliche monatlich sanktioniert, darunter waren über 200 von einer vollständigen Leistungsentziehung betroffen.

Diesem Vorgehen liegt die Annahme zugrunde, dass junge Erwachsene ohne die Androhung schwerer Strafen nicht auf die Eingliederungsmaßnahmen der Jobcenter reagieren. Junge Menschen müssen eben erst noch erzogen werden, so die Einschätzung derjenigen, die die harten Strafen für unter 25 Jährige befürworten. Die Internetseite Gegen-Hartz.de bezeichnet dieses Vorgehen als „Pseudopädagogik mit Vorurteilen und Überzeugungen aus vergangenen Jahrhunderten“. Leistungskürzungen würden bei Jugendlichen kaum positive Effekte herbeiführen und wären für deren Eingliederung eher hinderlich. Gesundheitliche Probleme durch den Entzug der medizinischen Versorgung, der psychische Stress durch den Verlust der Wohnung oder die Entstehung von Schulden könnten die soziale Wiederintegration der Betroffenen stattdessen unmöglich machen. Die Jugendlichen müssten dann später eventuell in Aufnahmeheimen untergebracht werden, was erheblichen Kosten für die Allgemeinheit bedeuten würde.

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Auch an anderen Stellen ist man nicht der Ansicht, dass die angewandten „Erziehungsmaßnahmen“ für junge Hartz IV Empfänger wirkungsvoll sind. Die Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbunds Annelie Buntenbach befürchtet, die drakonischen Strafen könnten zu Obdachlosigkeit und Armut führen. „Existenzgefährdende Sanktionen lehnen wir kategorisch ab", so Buntenbach in einer Stellungnahme. Stattdessen schlägt sie „positive Anreize“ vor, um den schnellen Arbeitseinstig der jungen Erwachsenen zu fördern. Als konkrete Vorschläge nannte Buntenbach unter anderem die Auszahlung von Prämien bei erfolgreich absolvierten Eingliederungsmaßnahmen. Außerdem sprach sie sich für ein kostenloses ÖPNV-Ticket aus, um den Heranwachsenden bei der Arbeitssuche zu helfen. Auch die Diakonie forderte, den Jugendlichen „Brücken in die Arbeitswelt“ zu bauen, statt ihnen „Steine in den Weg“ zu legen.

Hinzukommt, dass es zurzeit vermehrt Bedenken an der rechtlichen Legitimation vieler Hartz IV Sanktionen gibt. Ein Urteil vom Bundessozialgericht von 2008 besagt, dass „eine Absenkung des Arbeitslosengeld II erfordert, dass das Angebot der Arbeitsgelegenheit hinreichend bestimmt war und der Kläger im zeitlichen Zusammenhang mit dem Angebot über die Rechtsfolgen einer Ablehnung belehrt wurde“. Anstelle einer expliziten Belehrung erhält der ALG-Empfänger häufig jedoch lediglich allgemeine Merkblätter in denen die Gesetzestexte aufgeführt sind. Dies reicht nach dem Beschluss des Sozialgerichts allerdings nicht aus, um Kürzungen der Leistungen durchzusetzen. Die Belehrung muss sich auf Einzelfälle beziehen und „die konkreten Auswirkungen eines bestimmten Handelns vor Augen führen und im engen sachlichen und zeitlichen Zusammenhang mit der Obliegenheitsverletzung stehen“. Serienweise Meldeaufforderungen zu erlassen und anschließend bei Nichtwahrnehmung zu sanktionieren ist nach dem Urteilsspruch nicht mehr zulässig. Höchstens drei aufeinanderfolgende, gleichlautende Meldeaufforderungen, die von Empfängern ignoriert werden, dürfen Sanktionen zur Folge haben.

Das Bundesarbeitsministerium teilte die Kritik an der ungleichmäßigen Behandlung von jungen und älteren Hartz IV Empfängern bezüglich der Sanktionierung bei Meldeversäumnissen. Andrea Nahles (SPD) brachte einen Referentenentwurf ein, um die Regeln vom Lebensalter unabhängig zu vereinheitlichen. Die Bundesagentur für Arbeit begrüßte den Vorstoß des Arbeitsministeriums, um der Gefahr jugendlicher Obdachlosigkeit vorzubeugen.

Allerdings scheiterten die Pläne am Widerstand des Koalitionspartners CSU. Seehofer setzte sich vehement gegen eine Lockerung der Sanktionen für junge Hartz IV Empfänger ein. Auf den vermeintlichen „Erziehungseffekt“ will der bayerische Ministerpräsident unter keinen Umständen verzichten.