„Chancengleichheit“ für alle hieß es, das Abitur solle für jeden zu schaffen sein. Ein Lob an die Bildungspolitik: Sie hatte es geschafft. Jetzt stehen wir allerdings vor dem entsprechend gegenüberliegenden Problem: Die Entwertung von guten Noten nimmt weiter zu.
Früher und heute
Früher war man noch der Meinung, dass das Abitur der Schlüssel zur Karriere sei. Die Grundausbildung sei gegeben, die Schulabgänger wären bereit, nun die Karriereleiter hochzuklettern. Dieses Denken ist schon lange passé, was zählt ist der Abschluss eines Studiums. Also hieß es für viele: Von der Schulbank auf die Studienbank und weiterlernen, immerhin haben wir in Deutschland zu wenige Akademiker. Nun sind im Wintersemester 2015/16 immerhin 2.755.408 eingeschriebene Studierende gezählt worden. Das ist mehr als ausreichend.
Doch wenn man die Sache genauer betrachtet, reicht auch das Studium allein nicht mehr aus, um sicher einen Job zu bekommen, denn Studium ist nicht gleich Studium: Die Bandbreite der Studierenden ist genauso vielfältig wie die Noten. Bei über zweieinhalb Millionen Studierenden muss man irgendwie hervorstechen. Und das funktioniert am besten über die Noten. Schlechte Noten soll es kaum mehr geben, denn die helfen einem ja nicht weiter. Nicht selten kommt es vor, dass Studierende in einer Prüfung das Geschriebene durchstreichen und das Blatt leer abgeben. So haben sie zumindest die Chance, der schlechten Note zu entgehen und die Prüfung im kommenden Semester mit einem besseren Ergebnis zu wiederholen.
Ein Abitur oder ein abgeschlossenes Hochschulstudium an sich sind heutzutage kaum mehr etwas wert: Promovierende müssen mindestens ein Magna cum Laude, also eine glatte Eins haben, um überhaupt auf ihre Leistung stolz sein zu können. Und wer einen schlechten Bachelor-Abschluss hat, kann von einem Platz im Masterstudiengang sowieso nur träumen.
Studierende der TU München sind die klügeren Köpfe
Dabei ist die Notengebung höchst ungerecht verteilt, denn ein und dieselbe Note heißt nicht überall dasselbe. Eine aktuelle Studie des Wissenschaftsrates fand heraus, dass im Diplomstudiengang Biologie 98% der bewerteten Prüfungen im Durchschnitt mit der Note „gut“ bis „sehr gut“ ausfielen, während Studierende im juristischen Staatsexamen nur 7% eine bessere Note als „befriedigend“ erhielten. Heißt das, dass Biologie-Studierende klüger sind als Jura-Studierende?
Doch auch innerhalb der Fachgebiete variiert die Notengebung immens: Je nach Standort mehr als einen ganzen Notenschritt: BWL-Studierende an der TU München schließen durchschnittlich mit einem Schnitt von 1,9 ab. Ihre entfernten Mitstudierenden desselben Studienganges an der TU Clausthal mit 2,8. Kommen die klugen Köpfe nach München, um BWL zu studieren, sind sie bestrebter, einen guten Abschluss zu erhalten oder liegt es vielmehr an der Ungerechtigkeit der Notenvergabe?